Post aus Wien – eigentlich ein Roman, eigentlich

Werkausgaben, in jedem Ausmaß, sind für Verlage eine große Sache; zugleich wird die Bedeutung der Autorin, des Autors hervorgehoben. Eine Werkausgabe ist auch Werkpflege, sie verleiht ihm Würde und Glanz. Der Innsbrucker Haymon Verlag für Literatur widmet sich ebenfalls dieser Unternehmung: Seit 2011 erscheint dort auf sieben Bände angelegt das Werk des Schweizer Dichters Klaus Merz, im Frühjahr 2015 kommt sie zum Abschluss. Es enthält Lyrik und Prosa, jeweils frühe, spätere und brandneue, sowie Texte zur Malerei und Fotografie. Seit 1994 ist Merz bei Haymon beheimatet. Der Autor gilt als formbewusst, als „Meister des Understatements“, als Gefährte der „stillen Kraft seiner Worte“.

Eine Werkausgabe ist immer auch ein Berg. Ein Taschenbuch wiegt leichter, wenn auch nicht die faszinierende Sprachkunst von Merz. Jakob schläft wäre ein Anfang vor dem Berg, das Büchlein, das ja eigentlich ein Roman sein will, erschien erstmals 1997 und hatte großen Erfolg. 2014 kam es in der Taschenbuchreihe von Haymon mit den charakteristischen abgerundeten Buchecken heraus.
Das Schöne am Untertitel ist das eigentlich, die Fäden einer reichen Familiengeschichte sind ausgelegt, nur die aufzufädelnden Perlen sind wenige. Der poetische Zauber heißt Verdichtung, Komprimierung. Jedes Leben ist doch eigentlich wie ein Roman. Merz spürt in Jakob schläft den verschwundenen Brüdern nach, besonders dem jung verstorbenen. Die Literatur ist das Feld für die Suche und die Erinnerung an die toten Angehörigen. In dem Buch heißt es: „Innerlich gebückt, um den Schädel nicht wieder am Türbalken des leeren Schweinestalls aufzuschlagen wie damals, als ich im halbdunklen Koben das Sparschwein mit meinen Fünfzig-Rappen-Stücken knackte, geht es weiter im Kopf.“

966„Klaus Merz erzählt die Geschichte einer Familie, deren Lebenswege immer wieder in Abgründe und Hinterhalte führen. Abseits der Kreuzungen, an denen Krankheit und Tod „Vorrang haben“, wird aber gelebt, geliebt und geflunkert oder in fröhlicher Bigamie mit zwei Eskimofrauen der Fisch geteilt.
Den Blick auf die Details gerichtet, rückt der Erzähler die Ereignisse in ein oft überraschendes Licht. Fast beiläufig skizziert Klaus Merz so ein Bild der fünfziger und frühen sechziger Jahre, das aber nicht der Nostalgie, sondern immer dem Leben verpflichtet bleibt.“ (Haymon Verlag 2014)

Die Illustrationen und das Buchcover stammen von dem Schweizer Zeichner Heinz Egger, wie gehabt.

    • Klaus Merz: Jakob schläft. Eigentlich ein Roman. Innsbruck: Haymon Verlag 2014. TB, 104 Seiten. 9,95 Euro.

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  • siehe oben: Haymon Verlag 1997. Gebunden. 80 Seiten. 17,90 Euro.

Die Lamellen stehen offen. Frühe Lyrik 1963–1991 (Werkausgabe Bd. 1)
In der Dunkelkammer. Frühe Prosa 1971–1982 (Werkausgabe Bd. 2)
Fährdienst. Prosa 1983–1995 (Werkausgabe Bd. 3)
Der Mann mit der Tür oder Vom Nutzen des Unnützen. Feuilletons (Werkausgabe Bd. 4)
Das Gedächtnis der Bilder. Texte zu Malerei und Fotografie (Werkausgabe Bd. 5)
Brandmale des Glücks. Prosa 1996–2014 (Werkausgabe Bd. 6)
Außer Rufweite. Lyrik 1992–2013 (Werkausgabe Bd. 7)

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