Der heutige Eintrag ins Weblogbuch bringt Hinweise auf weitere beachtenswerte Veröffentlichungen aus Schweizer Verlagen.
Stand beim letzten Schweiz-Post Der gesunde Menschenversand im Mittelpunkt, sind es heute Dörlemann und der verlag die brotsuppe.
Umfassende Informationen zu allen literarischen schweizerischen Belangen bietet das Internetportal LiteraturSchweiz.
Auch SWIPS ist immer einen Besuch wert. / mr
Iwan Bunin, Vera
„Die fünf 1912 geschriebenen Erzählungen Iwan Bunins [hier eine ausführliche Zeittafel zu Leben und Werk, pdf] sind Preziosen, die schon bei Zeitgenossen starke Resonanz fanden. Die ungewöhnlichen Schicksale stehen für Bunins Bild vom ländlichen russischen Leben, ein scheinbar zeitloses Leben im Schatten der Moderne, weitab der großen Städte. Doch spiegelt sich in den kleinen und großen Schicksalen das innere Leben dieser Welt: in der tödlich endenden Trinkwette des Bauern Worobjow ebenso wie im Schicksal der als Kind missbrauchten Ljubka oder demjenigen von Andrej und Vera, die beim letzten Wiedersehen das Scheitern ihrer Träume erkennen.”
(Text: Dörlemann Verlag)
„Wer sich ein eindrückliches Bild vom russischen Landleben am Ende des 19. Jahrhundert machen möchte, sollte diese literarischen Zeitaufnahmen lesen – und darf sich danach in die Reihe jener Staunenden einreihen, die sich (zu Recht) fragen, warum ein Erzählkünstler wie Iwan Bunin, der ein dermaßen überragendes Gespür für Stimmung und Lebensdetails zu Papier zu tragen versteht […] nach wie vor kaum in einem Atemzug mit den anderen ‚Großen’ der russischen Klassikergeneration genannt wird.”
Matthias Eichardt, Stadtmagazin
Vera. Erzählungen 1912 ist Teil der Iwan Bunin-Werkausgabe des Dörlemann Verlags, in der bisher folgende Bände erschienen sind, allesamt in der Übersetzung von Dorothea Trottenberg:
– Verfluchte Tage. Ein Revolutionstagebuch (2005)
– Der Sonnentempel – Literarische Reisebilder (2008)
– Am Ursprung der Tage. Frühe Erzählungen 1890-1909 (2010)
– Das Dorf. Suchodol (2011)
– Gespräch in der Nacht. Erzählungen 1911 (2013)
sowie als Vorbote, ausnahmsweise nicht von Dorothea Trottenberg, sondern von Swetlana Geier übersetzt:
– Ein unbekannter Freund (2003)
Jean-Luc Benoziglio, Louis Capet, Fortsetzung und Schluss
Vom alten Russland und dem Kanton Zürich in den Kanton Bern.
Dort, in Biel, ist die Heimat des Verlags die brotsuppe. Ein merkwürdiger Name, den Verlegerin Ursi Anna Aeschbacher wie folgt erklärt:
„Den Namen habe ich gefunden, nachdem ich den Film ‚Babettes Fest’ gesehen hatte. Er handelt von couragierten Frauen, von ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten und auch davon, wie eine gute Brotsuppe im Gegensatz zu einer schlechten dabei hilft, sich zu begegnen, die Welt zu ‚begreifen‘, Wissen weiterzugeben, sich zu erinnern, zu debattieren, zu denken, sich auszudrücken, zu streiten, das Leben in die Hand zu nehmen, mit anderen etwas daraus zu machen, sich zusammen etwas auszudenken, zu verändern, Abenteuer zu erleben. Und was anderes machen Bücher?”
Aus dem Verlagsprogramm greife ich einen historischen Roman von Jean-Luc Benoziglio (1941-2013) heraus, der sich wunderbar zu lesen anlässt – hier eine Probe (pdf), die ersten vierzehn Seiten.
Leseprobe (Kurzfassung)
„Nachdem er sich mit der Kante der Spielkarte kurz die Unterlippe gekratzt hatte,
schickte er sich an, dabei mit dem Kartonrechteck rasche seitliche Wedelbewegungen vollführend wie jemand, der sich seiner Sache sicher ist und im Voraus seinen Triumph auskostet,
schickte er sich an, mit einer Geste, durch die er nicht nur mit der Handkante, sondern mit seinem ganzen Vorderarm, einschliesslich Ellbogen, auf den Tisch hauen und in den wankenden Weissweingläsern eine Art kleine Flutwelle auslösen sollte,
schickte er sich also an, seinerseits zu spielen und ihnen, Potz Sakrament!, zu zeigen, wer hier der Meister war,
als in seinem Rücken, mit einem Luftzug, der die Flamme der Kerzen erzittern liess, die Türe zur Herberge La Pomme de Pin aufging.
Seine Karte immer noch zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte er sich auf seinem Hocker halb um und erblickte im Gegenlicht eine Silhouette, die er an der unförmigen dunklen Masse, die ihren Kopf bedeckte, sogleich erkannte.
Als zögerte er, weiter vorzudringen, blieb der Ankömmling einen Moment auf der Schwelle stehen, Regenvorhang im Rücken und Pfeifenrauchspiralen, die aus der Gaststube nach draussen zogen.
‚Ah, Capet, verdammt: die Tür!’, schrie Jaccoud.”
„Letztlich haben die Romands und die Franzosen eigentlich nur etwas gemeinsam: die Sprache. Und auch dies nicht unbeschränkt. Nicht nur, weil die Romands ihre Accents und ihre lexikalischen Eigenheiten besitzen, sondern auch, weil viele Westschweizer eine andere, nämlich eine skeptischere, von bäuerlichem Pragmatismus und von protestantischem Ethos geprägte Einstellung zur Sprache haben.
Der Walliser Schriftsteller Jean-Luc Benoziglio […] hat einen schönen Roman geschrieben, in dem er diese unterschiedlichen Haltungen brillant und amüsant einfängt. In dieser historischen Fiktion malt er sich aus, dass der französische König Louis XVI 1793 nicht guillotiniert, sondern in die Waadt ins Exil geschickt wurde. Und mit feiner Ironie beschreibt er das Befremden, das sich unter den Weinbauern im Dörfchen St-Saphorien breitmacht, als der französische Monarch auftritt, dessen höfisches Französisch so künstlich wirkt wie die Perücke, die er gelegentlich überstreift.”
Christoph Büchi, Neue Zürcher Zeitung, 2. Mai 2007
Jean-Luc Benoziglio, Louis Capet, Fortsetzung und Schluss. Roman. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. 196 Seiten, verlag die brotsuppe, Biel 2007. 23,00 Euro