„Meeresstrand im Binnenland“ – mit dieser aberwitzigen Idee möchte die Kanzlerin eines fiktiven Landes in Leopold Maurers Kanal die nächsten Wahlen gewinnen. Noch bevor sie ihr Kabinett oder die Bevölkerung von der Genialität ihres Plans überzeugen kann, schickt sie ein Expertenteam los, das unter strengster Geheimhaltung beginnt, einen unterirdischen Kanal zu bauen, um das Meerwasser von der Küste ins Binnenland zu lenken. So weit, so absurd. Doch was hat das Pärchen auf dem Fischkutter damit zu tun? Und was sind das für merkwürdige Wesen, die tief unten im Gestein ihr Unwesen treiben? Sind sie real oder Auswüchse der überstrapazierten Gemüter des Expertenteams?
All diese Fragen bleiben auch nach der wiederholten Lektüre des Comics offen – es kommt sogar noch eine viel gewichtigere Frage hinzu. Das Szenario des Kanalprojekts ist nämlich gar nicht so aberwitzig und abwegig wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Die Art, wie in Kanal politische Entscheidungen getroffen und Strippen im Hintergrund gezogen werden, ist vielleicht realistischer als einem lieb ist. So ist Maurer zum einen eine Satire auf das politische System gelungen. Darüber hinaus sieht man sich als Leser aber auch mit der unbequemen Frage konfrontiert, was man selbst eigentlich zu einer Gesellschaft beiträgt, in der sich vermeintlich aberwitzige Ideen zu einem Selbstläufer entwickeln, weil sie das allgegenwärtige Verlangen nach immer größerem Wachstum zu befriedigen scheinen.
Leopold Maurer bleibt dabei seinem (z.B. aus Miller & Pynchon bekannten) Stil treu: Ein gleichmäßiges Raster mit sechs Panels pro Seite und eine strenge schwarz-weiß-Optik ohne jegliche Schattierungen oder Graustufen lassen der erzählten Geschichte den nötigen Raum.
(uf)
Leopold Maurer: Kanal. Wien: Luftschacht Verlag. 2014. 104 Seiten. ISBN 978-3-902844-46-0. 15,50 Euro.
Eine Leseprobe gibt es hier.