Patrick Deville, Pest & Cholera

Patrick Deville, Pest & Cholera. Umschlaggestaltung Dario Benassa
Patrick Deville, Pest & Cholera. Umschlaggestaltung Dario Benassa

„Tu me demandes si je prends goût à la pratique médicale. Oui et non. J’ai beaucoup de plaisir à soigner ceux qui viennent me demander conseil, mais je ne voudrais pas faire de la médecine un métier, c’est-à-dire que je pourrais jamais demander à un malade de me payer pour des soins que j’aurais pu lui donner. Je considère la médecine comme un sacerdoce, ainsi que le pastorat. Demander de l’argent pour soigner un malade, c’est un peu lui dire la bourse ou la vie.”

„Du fragst, ob mir das Praktizieren als Arzt langsam gefällt. Ja und nein. Es ist mir eine große Freude, jene zu behandeln, die mich um Rat fragen, aber ich möchte aus der Medizin keinen Beruf machen, denn ich könnte nie von einem Kranken Geld dafür verlangen, dass ich ihn behandle. Ich betrachte die Medizin als ein heiliges Amt, wie das Priesteramt. Für die Behandlung eines Kranken Geld zu verlangen, heißt ihn vor die Wahl stellen: Geld oder Leben.”
(Originalzitat nach der Wikipedia, Übersetzung von Müller und Fock)

Alexandre Yersin (1863-1943), schweizerisch-französischer Arzt und Bakteriologe, hat dies geschrieben. Es kann nicht schaden, seine edlen Worte in Erinnerung zu rufen, die aus der Distanz der Lichtjahre, die unsere heutige ökonomisch orientierte Medizin von ihnen trennt, kaum noch zu erkennen geschweige denn zu verstehen sind.
Auf den Tag heute von 120 Jahren, am 20. Juni 1894, entdeckte Yersin den Pestbazillus, der seit 1970 seinen Namen trägt, Yersinia pestis.
Im heutigen Kalenderblatt von Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur erzählt Martin Winkelheide die spannende Geschichte dieser Entdeckung.

Foto: Ayse Yavas
Foto: Ayse Yavas

Sie war auch Inspiration für den französischen Schriftsteller Patrick Deville.
Sein preisgekrönter Roman Pest & Cholera, der bereits ein Jahr nach seinem Erscheinen in der ausgezeichneten, geschmeidigen Übersetzung von Holger Fock und Sabine Müller auf Deutsch vorliegt, handelt in 44 Kapiteln von Yersins Leben und Wirken als Assistent von Louis Pasteur, als Schiffsarzt, als Entdecker und Unternehmer in Frankreichs Kolonien in Fernost.

„Genies lassen sich, wie man weiß, häufig missbrauchen. Sie sind bekannt für ihre Naivität. Diese Leute würden keiner Fliege etwas zuleide tun, aber aus purem Vergnügen an der Lösung eines Rätsels erfinden sie Massenvernichtungswaffen.”
Patrick Deville, Pest & Cholera

Man kann Pest & Cholera als modernen Abenteuerroman bezeichnen, oder als romanhafte Medizinhistorie – fesselnd zu lesen ist’s so oder so. Wie im Roman des 19. Jahrhunderts gibt es einen ‚Helden‘ – Alexandre Yersin -, doch nicht von ihm, sondern vom Gegenstand seiner Forschungen leitet sich der Titel des Buches ab. Das ist schon ein Hinweis auf den objektivierenden Ansatz, den Deville verfolgt, der sich als „Gespenst der Zukunft”, ausgestattet mit einem Kugelschreiber und einem „Notizbuch mit Maufwurfsleder-Einband” zuweilen unauffällig ins Bild schleicht.
Das von ihm gewählte Erzähltempus Präsens begünstigt die Vergegenwärtigung einer vergangenen Zeit, die doch andererseits von der unsrigen nicht allzusehr verschieden ist.

Pest & Cholera

„Der Schweizer Bakteriologe Alexandre Yersin beginnt 1889 seine Laufbahn bei Louis Pasteur in Paris. Zwei Jahre später entflieht er der Enge des Labors und befährt als Schiffsarzt die Meere Asiens. 1894 gelingt es Yersin in Hongkong, das Pestbazillus zu isolieren, das fortan seinen Namen tragen wird.

Cover (couverture) der französischen Ausgabe
Cover (couverture) der französischen Ausgabe

Seine unbändige Neugier treibt des Wissenschaftler um die halbe Welt, seine Leidenschaft für die Forschung führt ihn immer neuen Entdeckungen entgegen. 1899 bringt er den Kautschukbaum nach Indochina und wird zum Gummikönig. Mit dem Geld finanziert er seine medizinische Schule in Hanoi. Später leitet er das Pasteur-Institut in Saigon und Nha Trang. 1920 akklimatisiert er in Hon Ba Chinarindenbäume, um die Gewinnung von Chinin gegen die Malaria zu ermöglichen.

Der große Reisende Patrick Deville lässt sich auf den Spuren Alexandre Yersins quer durch Indochina und durch fast hundert Jahre Zeitgeschichte treiben. In Pest & Cholera legt der Autor sein bewährtes Maßband für die großen Zusammenhänge der Zeitgeschichte an, indem er den Lebenslinien seiner Helden folgt. Dabei erweist er sich immer wieder als akribischer Quellenforscher, der es auf unnachahmliche Weise versteht, Historie als spannungsgeladenen Roman zu erzählen.”
(Text: bilgerverlag)

Ebenfalls bei Bilger lieferbar Devilles prächtiger Roman Äquatoria.

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Nicht nur der Vollständigkeit halber sei auf einen Essay Patrick Devilles hingewiesen, Über wissenschaftliche und poetische Schreibweisen, der 1992 im Literaturverlag Droschl erschienen ist – auch eine Einladung, in der 64 Bände umfassenden Droschl-Essay-Reihe zu stöbern, wo es viele Schätze zu heben gibt, siehe hier, hier, hier, hier, hier und hier. Und hier.

„Eine sehr spezifische Antwort auf die Frage, die sich alle Romanciers stellen müssen – die nach dem erzählerischen Vorwand”, schreibt der Verlag über das Büchlein, das trotz geringen Umfangs kein Leichtgewicht sein wird.

Patrick Deville, Über wissenschaftliche und poetische Schreibweisen. Essay. Aus dem Französischen übersetzt von Jürgen Ritte. 20 Seiten, Broschur. Literaturverlag Droschl, Graz 1992. 6,00 Euro (= Reihe Essay Bd. 6)

Nachbemerkung

Würde man eine Umfrage starten, welche Namen von französischen Schriftstellern der Gegenwart den Leuten geläufig sind – Patrick Deville käme wohl nicht vor, stattdessen Anna Gavalda, David Foenkinos, Frédéric Beigbeder, Michel Houellebecq, die alle nicht seine Klasse haben.

Auf die Frage, warum ein Autor wie Pascal Quignard in Deutschland unbekannt sei, antwortete Michael Krüger: „trop érudit”. Ist auch Patrick Deville zu gelehrt?
Ich glaube nicht, d. h. ich glaube nicht, dass Gelehrtheit eine plausible Erklärung für den (vielleicht) mangelnden Erfolg bei einer interessierten Leserschaft ist.
Es gibt keinen Grund, Patrick Deville nicht zu lesen (und nicht großartig zu finden). / mr

Patrick Deville, Pest & Cholera. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller. 244 Seiten, Klappenbroschur. bilgerverlag, Zürich 2013. 19,90 Euro

Patrick Deville, Äquatoria. Auf den Spuren von Pierre Savorgnan de Brazza. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Holger Fock und Sabine Müller. 400 Seiten, gebunden mit Banderole. 19 x 13,5 cm. bilgerverlag, Zürich 2013. 29,80 Euro