Im Gespräch mit Alke Stachler (geliebtes biest, edition mosaik)

„etwas tun, das nur im märchen schön ist“ – lautet die erste Zeile von Alke Stachlers Gedichtband geliebtes biest, der in der edition mosaik erschienen ist und laut Martin Peichl zu den „eindringlichsten und stärksten Lyrikerscheinungen der letzten Jahre gehört, gerade weil hier eine aufgewühlte, eine aufwühlende Sprache am Werk ist“ (siehe Beitrag auf dem Blog). Jetzt unterhält er sich mit der Dichterin.

Martin Peichl im Gespräch mit Alke Stachler

„jemanden etwas geben, das er nicht anfassen kann.“ Ist das deiner Meinung nach ein passendes Bild für den Prozess des Schreibens? Oder anders gefragt: Was bedeutet Schreiben für dich? 

Alke Stachler: Zum einen ist das Schreiben natürlich für mich Veräußerung von etwas Innerem, das sich in meinem Fall über Sprache artikuliert. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, woher der Wunsch zu veröffentlichen bei mir eigentlich irgendwann kam. Irgendwann schien es einfach ein nächster logischer Schritt zu sein. Aber ich glaube, was mich im Hinblick aufs Veröffentlichen primär antreibt, ist der Wunsch, etwas zu geben bzw. zurückzugeben. Ich sehe schreiben, lesen und veröffentlichen als eine Art Kreislauf, der einen selbst nährt und in den man auch selbst wieder etwas einspeist, damit es andere nährt bzw. ihnen etwas gibt. Ich weiß ja, wie sehr das Lesen und Entdecken von Autor*innen und deren Texten mein eigenes Leben existenziell bereichert und verändert. Wie es mich auffängt. Ich möchte das auch für jemanden tun können.

Foto edition mosaik

„stellen, die ich nicht mehr zurücknehmen kann.“ Wie ist es zu dem Titel geliebtes biest gekommen und was war die Überlegung dahinter?

Die Formulierung „geliebtes biest“ tauchte in einer meiner vielen ungeordneten Notizen-Dateien auf und war Teil einer sehr langen assoziativen Reihung. Der Ursprung dieser Reihung war ein sehr persönlicher – es ging um etwas, gegen das ich seit früher Kindheit kämpfe, nämlich den Hang zu negativen, oft sehr selbstzerstörerischen Gedankenmustern, eine Tendenz zum Grüblerischen, mit der ich mir häufig selbst das Leben (unnötig) schwer mache. Gleichzeitig ist diese Tendenz zur Introspektion etwas, das mich als Menschen ausmacht, und das ich letztlich nicht eintauschen wollen würde. Als dieses Gegensatzpaar „geliebtes biest“ dann in meiner Assoziationskette auftauchte, wusste ich sofort, dass es ein potenzieller Titel für den Band ist. Ein geliebtes Biest kann so vieles sein: das Schreiben selbst, das einen berauschen und gleichzeitig völlig aushöhlen kann; ein Mensch, den man liebt und der einen gleichzeitig und gerade deshalb am meisten verletzen kann; das Verhältnis, in dem man zu sich selbst steht … Letztlich ist für mich auch jedes einzelne Gedicht des Bandes ein geliebtes Biest. Zum einen natürlich, weil der Schreibprozess dunkle und helle Momente hatte, zum anderen, weil ich hoffe, jedem Text mindestens zwei Gesichter gegeben zu haben. Also, ich möchte schon, dass die Texte die Leser*innen piesacken, trotzdem hoffe ich ihnen auch eine gewisse Schönheit gegeben zu haben. Eine, die sich wehrt aber, hoffentlich.

„das ich in einem gedicht, die kälte des weltraums.“ Wie können wir uns den Entstehungsprozess von geliebtes biest, wie deinen Schreibprozess vorstellen?

Wie schon vorhin angedeutet, arbeite ich sehr viel mit Assoziationen und assoziativen Reihungen. Der Schreibprozess besteht bei mir im Wesentlichen aus zwei Schritten: dem Notieren und Materialgenerieren und dann dem Reduzieren, dem Zurechtschneiden, dem Schleifen. Ich sammle meist erstmal unfassbare Massen an Notizen an – im Fall des biests waren das über 200 Seiten mit Gedankenfragmenten, Assoziationsketten, Formulierungen, Einzelwörtern, Exzerpten aus Märchen … alles Mögliche! Ich kann auch wirklich nicht behaupten, da zu jedem Zeitpunkt den Überblick gehabt zu haben, aber ich habe dieses Den-Überblick-Verlieren zu einem Teil des Arbeitsprozesses gemacht. Ich habe einfach darauf vertraut, dass das, was übrigbleiben soll, auch übrigbleiben wird. Kontrolle ist eh eine Illusion … Mein Wunsch für meine Texte ist, dass man sie nicht mit dem Kopf „versteht“, sondern mit dem Körper, mit den Eingeweiden, wenn man so will. Dass man nicht erklären kann, was man da gerade gelesen hat. Und ein Element davon hat auch mein Schreiben.

Die zweite Stufe des Prozesses, also das tatsächliche Bauen und Zusammenfügen der Texte, ist die eigentliche Schwerarbeit und dauert bei mir ewig. Das ist ein nicht-enden-wollendes Manövrieren und Herumschieben von Textteilen und Wörtern, die ich aus den Notizenwust-Dateien erstmal in mehreren Schritten herausschäle und dann in wiederum andere Dateien füge und umschichte und wieder neu füge und wieder umschichte … Ein Text ist für mich fertig, wenn er sich fertig anfühlt. Dafür gibt es bei mir keine anderen Kriterien als das Gefühl.

Foto edition mosaik

„jeder meiner sätze hängt am phantomfaden.“ Welche Märchen und Mythen haben besonders bleibende Eindrücke bei dir hinterlassen und welche sind in geliebtes biest eingeflossen?

Mein ursprünglicher Plan war, den gesamten Band ausschließlich von Hans Christian Andersens Märchen Die kleine Seejungfrau inspirieren zu lassen, ihn „blau“ zu nennen und einer sehr engen Freundin zu widmen. Aber bekanntlich sind Pläne ja dazu da, um über Bord geworfen zu werden. Ich kam dann natürlich beim Lesen vom Hundertsten ins Tausendste, wie es so ist, und irgendwann hatte ich dann einen Wahnsinns-Pool von Fragmenten und Exzerpten, mit dem ich gearbeitet habe.

Ganz besonders berührt haben mich zwei sehr unbekannte Texte: Dolassilla, eine Südtiroler Sage, und Die trauernde Königin aus dem keltischen Mythen-Kreis. Beide Texte sind todtraurig und arbeiten mit sehr prägnanten Bildern und messerscharfer Sprache. Mich hat die bestechende Klarheit, die Märchentexte vor allem auf sprachlicher Ebene oft haben, sehr fasziniert und, auch wenn ich gegen dieses Wort mittlerweile eine riesige Abneigung habe, inspiriert. Da wird einfach nicht drumherum formuliert, sozusagen. Diese Klarheit habe ich versucht, in mein Schreiben hinüber zu holen.

„bücher, die mich hätten retten sollen.“ Welche anderen Bücher oder Texte waren für deine Arbeit an diesem Projekt wichtig?

Neben den oben erwähnten Märchentexten gab es noch einige Gedichtbände, deren Lektüre mich beim Schreiben beeinflusst hat. Beispielsweise Inger Christensens Alphabet, ein bestimmter Zyklus im Band Sprache und Regen von Katarina Frostenson oder kummerang von Dagmara Kraus, ein ewiger Liebling.

„dass jede sprache ihre eigenen schlangen hat.“ Welche Verantwortung haben Autor*innen deiner Meinung nach im Hinblick auf Sprache?

Das ist eine große Frage mit sehr vielen Ebenen. Für mich geht zumindest ein Teil der Antwort wieder auf das zurück, was ich auf deine erste Frage geantwortet habe. Etwas zu geben bzw. zurückzugeben. Etwas Widerspenstiges in die Welt zu setzen, Räume zu schaffen für Widersprüchliches, Unlogisches, Irrationales, Verletzliches, Verletztes, Gebrochenes und Brechendes. Für Dinge, die jenseits der Artikulierbarkeit liegen, und sie doch zu artikulieren, und natürlich zu scheitern. In ihrer Rezension des Bandes schreibt Nicola Quaß, dass sie die Texte des geliebten biests so empfindet, dass sie einen dazu zwingen, die eigene Muttersprache wie eine Fremdsprache zu lesen. Ich muss sagen, dass noch nie jemand so exakt getroffen hat, wie ich mir wünsche, gelesen zu werden, bzw. was ich mir wünsche, auszulösen. Ich möchte etwas in die Welt schleudern, das sich nicht fügen will, aber trotzdem eine gewisse irre Schönheit hat. Vielleicht wie ein Pullover, der zwar warm ist, aber ein bisschen kratzt. Etwas, das zum Aufhorchen zwingt, vielleicht zum Hinterfragen. Ich finde es gefährlich zu glauben, man würde überhaupt irgendetwas kennen, oder jemanden. Den Blick für Fremdheiten wieder öffnen zu wollen, für die Omnipräsenz dessen, was nicht zu verstehen ist und doch und gerade deshalb unser Leben bestimmt, ist einer meiner Wünsche für meine Texte und eine Triebfeder bei meinem Umgang mit Sprache.

Alke Stachler (Foto edition mosaik)

„der körper macht keinen unterschied zwischen einer hochzeit und einem begräbnis.“ Welche Rolle spielt Körperlichkeit in geliebtes biest?

Ich arbeite schon sehr oft mit Bildern aus dem Bereich des Körperlichen. Ich finde, dass sich viel Inneres über den Körper artikuliert und manifestiert. Man erlebt mit dem Körper die Welt; die komplette Sinneswahrnehmung ist in ihm beherbergt. Darum kann man über Bilder, die Körperliches aufgreifen, vieles auf den Punkt bringen, einen Text ins konkret Sinnliche holen. So arbeiten ja auch viele Märchentexte, mir fällt dazu vor allem der Grimm’sche Märchen-Komplex ein, da gibt es kaum einen Text, in dem nicht irgendeine Form des Körper-Fokus stattfindet, oftmals als Verletzung oder gar Verstümmelung, und das wiederum oftmals am weiblichen Körper. Ich würde jetzt zwar nicht sagen, dass ich das so eins zu eins in die Texte im biest motivisch überführt habe, aber sicherlich schwingt dieser ganze Echo-Raum in den Gedichten mit.

„in unterstelle dem wald, dass er in seiner mitte etwas versammelt.“ Welche Rolle spielt das Unheimliche für dich in deinen Texten?

Das Unheimliche im Sinne eines Elements, von dem man nicht erklären und auch nicht wissen kann, was es ist und was es tut, ist, denke ich, durchaus präsent in meinen Texten, und auch in meinem Schreibprozess selbst. Ich meine damit gar nicht zwingend eine düstere Atmosphäre, sondern eher eine Leerstelle, etwas Verzerrtes, Geisterhaftes, einen Knick in der Logik, ein Störgeräusch. Vielleicht ein bisschen im Freud’schen Sinne des Unheimlichen, als etwas, das nicht heimelig, gemütlich, wohlbekannt ist, sondern das Gegenteil; etwas, das einen erstmal abprallen lässt, aber irgendwie doch trifft.

Herzlichen Dank, Alke Stachler, für das Gespräch per E-Mail mit Martin Peichl!

  • Alke Stachler: geliebtes biest. Salzburg: edition mosaik 2019. 64 Seiten, Hardcover, Fadenbindung. 148 × 105 × 5 mm. 10 Euro

Hinterlasse einen Kommentar