
„It’s only through form, that we can realize emptiness“ (Überlegungen zu Isabella Feimers und Manfred Poors Gedichtband American apocalypse)
Mit American apocalypse legt Isabella Feimer nach Tiefschwarz zu unsichtbar (2017) ihren zweiten Gedichtband im Innsbrucker Limbus Verlag vor. Es handelt sich um eine Zusammenarbeit mit Manfred Poor, der die Fotografien dazu beigetragen hat. Beide Lyrikbände habe ich als Herausgeber der Reihe „Limbus Lyrik“ betreut.
Die Fotografien zu American apocalypse sind zwischen 2016 und 2018 entstanden. Feimer und Poor haben in diesem Zeitraum vier Reisen in die USA, nach Kanada und nach Mittelamerika unternommen, um Materialien für das Buch zu sammeln.
Die Zeiten sind auf Sturm, die Gesellschaft ist tief gespalten. In einer Reportage, die Isabella Feimer im Jänner 2019 unter dem Titel „American dream, ausgeträumt“ in der Tageszeitung Der Standard veröffentlicht hat, berichtet sie von einem Gespräch mit einer Einwohnerin San Franciscos. Die habe mit Unverständnis darauf reagiert, dass Feimer und Poor schon das zweite Mal innerhalb kurzer Zeit in die Stadt gereist seien, und gemeint, sie selbst wäre wohl nicht hierher zurückgekommen, denn „everything has changed“, Nachsatz: nicht zum Guten.
2021 hat die Corona-Pandemie die USA hart getroffen, der Trumpismus ist im Sturm auf das Kapitol eskaliert, wenige Tage danach – zumindest vorläufig – glimmt wieder ein Funken Hoffnung auf. American apocalypse liest sich in diesem Zusammenhang wie eine lyrische Reportage, ein kritischer Streifzug durch ein Land der vielen Fragen. Vieles von den gegenwärtigen Geschehnissen scheinen Isabella Feimer und Manfred Poor antizipiert zu haben, sowohl die negativen als auch die positiven.
Auf den ersten Blick verführerisch wecken die Bilder Sehnsüchte nach Ferne, Weite und Freiheit. Bei näherer Betrachtung führen die Gedichte tief hinein in soziale Biotope, in Randzonen und an Schwellenorte. Das Unbehagliche ist dabei mindestens so spürbar wie die Komfortzone der hell erleuchteten Stadtzentren, Tourist*innenenorte und Naturwunder.
Feimer und Poor reisen im Rhythmus der Beat-Poeten von Küste zu Küste, spontan und unstet. Sie nächtigen in Motels, die Übergangsquartiere für Gestrandete geworden sind, prekäre Zonen, in denen sie eine seltsame Normalität erleben, die letztlich Ausnahmezustand bleibt. Sie lassen sich von den Menschen, denen sie begegnen, und von Landschaften, Wetter und Jahreszeiten einnehmen. Sie tauchen in die Popkultur ein, brausen über die Route 66, entlang amerikanischer Mythen, lachen über Plastikaliens in Roswell, inhalieren die Betriebsamkeit New Yorks. In South Beach, Miami, wird das Szenario unbehaglich. Durch Poors fotografisches Auge sehen wir einen mit Stars und Stripes gezierten, einsamen Rettungsschwimmerturm unter einem dunklen, dicht bewölkten Himmel. Das Meer schäumt. Dazu das titelgebende Gedicht, in dem es heißt „say goodbye to light and lovers“ und „manch ort ist nichts weiter als ein Geisterschloss“. Mit diesem Text im Herzen des Buches hat die Arbeit Isabella Feimers an American apocalypse begonnen. Hier fühlt sich ihre Lyrik an wie Jazz: hitzig, sphärisch, frei, wechselnde Tempi, Deutsch und Englisch fließen ineinander – hier offenbaren sich ihre Bezüge zur Beat-Literatur. Die Worte flimmern in der Hitze Nevadas, sie tanzen in den Straßen Mexiko Citys am Tag der Toten, sie öffnen dunkle Himmel, in denen sich schon der nächste Hurrikan zusammenbraut. Stellenweise erinnert diese körperliche, alle Sinnesorgane ansprechende Lyrik an die Wucht von Pier Paolo Pasolinis Poesie, in der sich die Vergangenheit aus den Bildern der Gegenwart hebt. Isabella Feimer schafft verdichtete Szenen, aufgeladene sprachliche Bilder, in denen Fortschrittsgeist und Moderne des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten aufblitzen und sich sukzessive mit einer komplexen, verwirrenden, polarisierten Gegenwart vermengen.
Manfred Poor lenkt den Blick gerne auf Details. Einmal starrt Trump mit flammenden Augen von einer Wand, daneben der Schriftzug „Stop Making Stupid People Famous“. Auf der nächsten Seite ist ein Mural zu sehen. Eine junge Frau, in ihre Hände geritzt die Worte: „Stop the Hate“. Auf vier Seiten werden eine Zeit und deren Menschen charakterisiert.
Der intensive Dialog zwischen Bild und Text wechselt in das süße Amerika, das nach verbranntem Zucker riecht. Es ist ein Versuch in Pink, wenn uns Isabella Feimer in das „Ice Cream Museum“ in San Francisco führt. Ihre Worte wirken hier tatsächlich klebrig – und entschwinden schon im nächsten Moment in die Mojave Wüste. „It’s only through form, that we can realize emptiness”, wird Jack Kerouac (The Dharma Bums, 1958) an dieser Stelle zitiert.
Isabella Feimer und Manfred Poor suchen nach der Freiheit und reflektieren dabei nicht nur Abschnitte der Amerikas, sondern den Zustand unserer fragilen Welt. In ihren sprachlich-fotografischen Landschaften, die einen Ausschnitt der Wirklichkeit einfangen, finden sich untrüglich die Spuren einer schleichenden Apokalypse. Die Menschen, die ihnen dabei begegnen, sind euphorisch oder auch müde und abgeschlagen – die ursprüngliche Bedeutung des Wortes „beat“. Die Doomsday Clock tickt. American apocalypse ist eine Poesie des Übergangs.
Dank an Erwin Uhrmann (Fotos ©Isabella Feimer)
- Isabella Feimer/Manfred Poor: American apocalypse. Gedichte & Fotografien. Innsbruck: Limbus Verlag 2021. 176 Seiten, gebunden. 18 Euro