Helen Weinzweig: Von Hand zu Hand (Verlag Klaus Wagenbach)

Der schönste Tag im Leben erweist sich als ein ziemlich verrücktes Spektakel. Die erst vor Kurzem auch hierzulande wiederentdeckte kana­di­sche Schriftstellerin Helen Weinzweig schert sich nicht um Erzählkonventionen und entwirft in ihrem zweiten auf Deutsch bei Wagenbach erschienenen Roman Von Hand zu Hand einen Reigen skurriler Hochzeitsgäste. Und das identisch im Anzug gekleidete Brautpaar entspricht auch nicht gerade gängigen Vorstellungen.

Die Hochzeitssuite ist zwar gebucht, wird am Ende aber vergeben sein, der Pfarrer ist nicht echt, der Vater der Braut kommt mit seiner neuen jungen Frau samt Baby, die Brautmutter weint ihm jede Träne nach und ist sturzbetrunken. Der Bräutigam ist schwul und denkt sehnsüchtig an seinen verflossenen Liebhaber, die Braut hat ihre Ex-Geliebten zum Fest geladen und ist überrascht, wer tatsächlich gekommen ist. Und als der Bürgermeister dazu aufruft, die Gläser zu erheben, verlassen einige Gäste entschieden den Saal. Nichts an dieser exquisit ausgestatteten Hochzeit in Toronto ist, wie es sein sollte. Die Festgesellschaft ist eine Versammlung höchst merkwürdiger Gestalten. Geld spielt zwar keine Rolle, aber es gibt genügend andere Gründe zu verzweifeln. Schlechter Sex zum Beispiel ist für die Frauen ein nicht geringes Problem. Trostloser Ehebruch ist an der Tagesordnung.

Helen Weinzweig (1915–2010) erzählt in dem 1973 im Original erschienenen Roman von einem verrückten Tag und einer Handvoll Menschen, deren Träumen und Enttäuschungen, Abwegen und Verfehlungen. Lebensgeschichten werden angedeutet, ver­­gangene Zeiten leuchten auf. Die Autorin, die nur zwei Romane und ei­nen Erzählungsband veröffentlicht hat, verweigert sich herkömmlichen Erzählmustern. Sie entwirft – statt psychologisch stimmiger Figuren oder Episoden – vorzugsweise kuriose Szenen und leidenschaftliche Begegnungen. Man fühlt sich an die absurden Hochzeitsszenen aus Lars von Triers Film Melancholia erinnert. Helen Weinzweig blickt allerdings leichter sowie mit entschiedenem Witz und hintergründiger Ironie auf die triste Gesellschaft. Etwas Besseres als die bürgerlichen Lügen und die verkommenen Ehekonventionen findet das junge Paar in jedem Fall.

Von Hand zu Hand ist ein rasant erzählter, höchst unkonventioneller Roman, der die Autorin in eine Reihe mit großen modernen Autorinnen und Autoren stellt. Auf dem Hotlistblog stellen wir auch ihren ersten in deutscher Übersetzung erschienenen Roman vor: Schwarzes Kleid mit Perlen – ein hoffentlich inzwischen nicht mehr so unbekannter feministischer Klassiker.

Im informativen Nachwort erzählt der damalige Lektor James Polk von seiner ersten Bege­gnung mit Helen Weinzweig 1971. Das Manuskript dieses Hochzeitsromans hatte sie ihm in einer luxuriösen Schachtel mit Schleife geschickt – versehen mit dem Hinweis, am besten solle er die Seiten in die Luft werfen und danach so anordnen, wie sie auf den Boden fallen.

Dank an Manuela Reichart (Originalbeitrag auf Deutschlandfunk Kultur, erweitert für den Blog)

(Foto von Pexels)

  • Helen Weinzweig: Von Hand zu Hand. Aus dem kanadischen Englisch von Hans-Christian Oeser. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach Verlag, Quartbuch 2020. 160 Seiten, Leinen. 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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