
Verlegerin Katja Cassing im Gespräch mit Lucia Schöllhuber
Frau Cassing, Sie haben mit Ihrem Verlag, dem cass verlag, und dem Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ des Koreaners Young-ha Kim (hier gehts zur Besprechung) gerade den Preis der Hotlist 2020 gewonnen. Hat Sie die Auszeichnung überrascht?
Und ob! Alleine schon, wie wir davon informiert wurden. Das war geschickt eingefädelt: Wir dachten jedenfalls, Karsten Dehler, der ja auch nicht für die Hotlist, sondern die Kurt Wolff Stiftung tätig ist, wäre auf dem Rückweg von Erfurt und kommt nur auf einen Sprung vorbei. Über die Kamera haben wir uns natürlich schon gewundert. Aber dass dieser Besuch mit der Übergabe des Preises zu tun hat – auf die Idee wären wir nie gekommen. Für uns war es bereits eine Auszeichnung, mit einem Titel unter den zehn besten Büchern aus unabhängigen Verlagen des vergangenen Jahres zu sein. Also einer von den zehn zu sein, die diese Vielfalt repräsentieren. Der Preis ist jetzt noch das Sahnehäubchen obendrauf.
Wie ist es denn zu diesem ungewöhnlichen Buch in Ihrem Programm gekommen?
Das haben wir eher zufällig auf der Messe in Frankfurt entdeckt. Am Weg zu einem Termin fiel uns am Stand von Korea die Regalwand mit den Übersetzungen ins Auge, wo die japanische Übersetzung der „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ stand. Diese Ausgabe ist sehr schön gestaltet und so haben wir sie herausgenommen und angelesen. Und es geht ja gleich grandios los: „Meinen letzten Mord habe ich vor 25 Jahren begangen. Oder waren es 26?“ Dann der Vergleich des Mordens mit Prosa und überhaupt – ein dementer Serienmörder! Es hat uns also sofort gepackt und nach der Lektüre war uns klar, dass wir das machen müssen. Glücklicherweise konnten wir Frau Park für die Übersetzung gewinnen.
Mit Ihrem Verlag sind Sie einerseits hochspezialisiert mit dem Schwerpunkt auf Japan. Erkennbar ist aber auch: Hier geht es um Literatur. Wie würden Sie sich positionieren, Ihr Programm beschreiben?
Uns geht es tatsächlich in erster Linie um die Literatur und nicht ums Japanische. Da kämpfen wir immer wieder, um nicht in der Exotik-Schublade zu landen. Denn unser Blick auf Japan ist eher zufällig. Mein Mann und ich, wir sind beide Japanologen und haben den Vorteil, Japanisch lesen zu können. Wären wir Romanisten, würden wir unsere Bücher auf dieselbe Weise aussuchen, aber eben woanders. Wir sind der Meinung: Literatur ist erstmal Literatur. Aus welchem Land sie kommt, ist zweitrangig. Und dann machen wir natürlich auch Genre-Literatur – die Krimi-Sparte ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Programms. Aber auch hier liegt unser Fokus auf dem Literarischen.
Welche Herausforderungen sehen Sie denn aktuell für unabhängige Verlage? Hat die Corona-Pandemie etwas in Ihren Abläufen oder Bedingungen geändert?
Grundsätzlich sind die Herausforderungen immer noch dieselben. Als unabhängiger Verlag hat man zum Glück zwar die unabhängigen Buchhandlungen als Partner. Aber in die großen Buchhandelsketten reinzukommen, scheint selbst mit Verlagsvertretung kaum möglich. Würde man da aufliegen, würde man ganz andere Stückzahlen verkaufen. Und das muss man, wenn man davon leben können wollte. Wir können es nicht.
Gäbe es eine Strukturförderung, wäre das eine große Unterstützung. Das muss nicht unendlich viel Geld sein, würde aber einen großen Unterschied in Sachen Planung und Überleben machen.
Was Corona betrifft, so hatten wir mit den „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ zu Beginn echte Sorgen, dass er im Lockdown untergeht. Aber nichtsdestotrotz wurde das Buch außergewöhnlich gut aufgenommen, landete sogar auf Platz 1 der KrimiBestenliste und auf der Litprom-Liste. Jetzt mit dem Preis kam noch einmal viel Medienecho. Da können wir uns also nicht beschweren. Was dieses Jahr allerdings bitter ist: Beide Messen sind ausgefallen und alle Veranstaltungen weggebrochen bis hin zum Weihnachtsmarkt. Also überall, wo man seinen Stand aufbauen kann, um in Kontakt zu treten, Bücher zu verkaufen und sichtbar zu sein.
Sichtbarkeit ist ein gutes Stichwort. Wie wichtig sind denn solche Auszeichnungen wie der Preis der Hotlist?
Es ist eine großartige Aufmerksamkeit und ein wunderbarer Filter. Es ist ganz was anderes, wenn eine unabhängige Jury ein Buch lobt und nicht die Verlegerin selbst. Durch dieses Gütesiegel werden natürlich mehr Leute aufmerksam – auf das Buch, aber auch auf unser Programm insgesamt. Ich bin sehr dankbar, dass man vor ein paar Jahren auf die Idee dieses Preises gekommen ist.
Und was passiert nun mit dem Preisgeld?
Der Preis wird ein besonderes Buch finanzieren. Wir haben die kleine Reihe „Schilfboot“. Das sind kürzere Texte, alle illustriert, Halbleinen, besonderes Papier, sehr aufwändig in der Herstellung. Da hat man noch nicht übersetzt oder illustriert und es geht schon ein kleines Vermögen für den Druck drauf. Der Preis gibt uns den Spielraum, so ein Projekt zu realisieren.
Der Preis sagt auch aus, dass Sie viel richtig gemacht haben. Was würden Sie jemandem raten, der heute einen unabhängigen Verlag startet?
Vermutlich dasselbe, was ich auch meinen Kindern rate: Man sollte das tun, was man wirklich tun will. Also einen Verlag nur, wenn man es wirklich machen will. Dann aber unbedingt! Die Vorstellung zurückzublicken und nicht getan zu haben, was man wollte, finde ich furchtbar. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass sich auch der Rest findet, wenn man tut, wofür man brennt.
Frau Cassing, vielen Dank für das Gespräch und herzlichen Glückwunsch im Namen des Hotlistblogs!
- Young-ha Kim: Aufzeichnungen eines Serienmörders. Aus dem Koreanischen von Inwon Park. Bad Berka: cass verlag 2020. 152 Seiten, gebunden. 20 Euro.