Schauplatz von Trümmerland Kinderland ist das zerbombte Nachkriegsberlin: Die Kinder spielen in den Trümmern, die Frauen machen Pläne, in die die zurückkehrenden Männer nicht immer passen. Hunger ist ebenso an der Tagesordnung wie Gefahren und Illusionen.
Schauplatz Berlin im 21. Jahrhundert: Der Band von Karin Reschke ist in der internationalen, deutsch-englischsprachigen PalmArtPress erschienen, die sich seit 2008 versiert an der aufregenden Schnittstelle von Kunst, Literatur und Kultur bewegt, inklusive eigens angeschlossenem künstlerischen Salon zur Präsentation der Werke.
Die Autorin erinnert sich in dem Band an ihre Kindheit im Nachkriegsberlin, an Spiele und Familiendramen, verlassene Ehefrauen und promiskuitive Tanten. Sie lässt eine Ich-Erzählerin auftreten, deren Identität in den neun Prosastücken ebenso wechselt wie die Wohnungen, in denen die jugendlichen Protagonistinnen mit ihren – meist vaterlosen – Familien unterkommen. Im Vorwort heißt es: „Die Ich-Erzählerin, anfangs ABC-Schützin, hantiert unter verschiedenen Namen und Adressen, bewegt sich scheinbar leichtfüßig von Schauplatz zu Schauplatz. (…) Zum Neuanfang in den längeren Erzählungen kommen andere Ich-Erzählerinnen ins Spiel: halbwüchsig, Orientierung suchend, so erzogen, wie es sich in der Nachkriegszeit gehört.“ Allen Mädchen gemeinsam ist eine Unsicherheit, die sie erst als Erwachsene als fundamental begreifen werden: Auf den Lügen der Erwachsenen wird die neue Zeit aufgebaut.
In der eindrucksvollsten und längsten Geschichte, in der die Nachkriegszeit durch die Augen des Kinder lebendig wird, steht eine unabhängige Frau im Mittelpunkt, die um die Existenz kämpft, um den Erhalt der väterlichen Firma. Sie ist Puppenmacherin und erfolgreich, bewundert von der halbwüchsigen Tochter ihrer so viel braveren und unglücklicheren Freundin. Im KaDeWe verkauft man die Puppen, alliierte Soldaten wollen sie mit nach Hause nehmen. Eine clevere Geschäftsfrau, die sich nicht einschüchtern lässt, die sich immer wieder neu und heftig verliebt und keine Rücksicht auf bürgerliche Konventionen nimmt. Ihr Meisterstück ist eine lebensgroße Puppe, die sie dem Mädchen vermachen wird. „Der Neffe“ erzählt aber nicht nur von Neubeginn und Illusionen, von weiblichem Aufbruch und weiblicher Selbstermächtigung, vor allem geht es um Unordnung und frühes Liebesleid, um die Rachsucht einer betrogenen Halbwüchsigen, die schreckliche Folgen hat.
Karin Reschke ist eine ebenso erinnerungs- wie gefühlsstarke Erzählerin, die nicht nur Zeit und Ort, sondern vor allem auch die Ängste und Träume ihrer jungen Nachkriegsberliner lebendig werden lässt. Sie haben große Pläne und werden sich sehr viel später nicht zuletzt ans Scheitern erinnern.
Dank an Manuela Reichart
(adaptiert und erweitert, Originalbeitrag auf DLF Kultur)
- Karin Reschke: Trümmerland Kinderland. Berlin: PalmArtPress 2020. 162 Seiten, Hardcover. 20 Euro