Maren Kames: luna luna (Secession Verlag)

luna luna heißt das zweite Buch aus dem Zürcher Secession Verlag der jungen, seit ihrem Debüt HALB TAUBE HALB PFAU (Hotlist-Titel 2017) viel beachteten Autorin Maren Kames.

luna luna – ist das eine Beschwörung? Ein tadelnder Ausruf? Einen Bruch mit Gewohnheiten zeigt dieser Titel, denn im Deutschen ist der Mond ja männlich. Maren Kames denkt ihn aber weiblich, wendet sich von romantisch geprägten Motiven zur antiken Tradition und überraschenderweise zum Pop. Es ist der pinke Mond der Pop-Musik, den sie beschwört. Ein widersprüchlicher Mond, wie die beiden Zitate zeigen, die sie vor ihre eigene Stimme gesetzt hat: Songverse vom Singersongwriter Nick Drake, der sich unter dem Einfluss seines pinken Mondes das Leben nahm, und der Hip-Hopperin Janelle Monáe, die eher den ziemlich schrillen, queeren Wahnsinn der Selbstermächtigung besingt.

Was Maren Kames unter dem Schutzschirm dieser beiden Wahlverwandten in eine fortlaufende Textbewegung bringt, ist grandioses suggestives Kopfraumtheater. Es geht ins Innerste des Ich und gleichzeitig hinein in eine weite, unbestimmte Welt, die freilich eine surreale ist. Gattungsgrenzen werden dabei irrelevant. Ob man es hier mit Lyrik, einem Libretto, einem szenischen Text zu tun hat? Nicht wichtig. Wichtig ist nur, diesem verletzlichen, verletzten, auch mal aggressiven Ich zu folgen.

in meinen gloriöseren tagen bin ich ziemlich / lunar gewesen / und wahnsinnig rastlos, / in den gliedern krachend und griffig, / im wipfel wild, / es rauschte, / ich genoss / und litt / zeitgleich, / immerzu, / ich lachte / harsch, / ich klebte / mir eine gans / aus pappmaché, / mit flügeln / und allem, / dann / holte ich tief luft, / und stach zu […]

27 Pop-Songs sind es, die in Maren Kames’ Texte hineinragen. Von Annie Lennox bis Radiohead, als Originaltexte in der Fußnote, als direkte oder mehr oder weniger verwandelte Übersetzung. Zuweilen wirkt das wie eine Form des automatischen Schreibens, die Maren Kames hier offenlegt. Nur, dass es überhaupt nichts Dogmatisches hat, sondern etwas sehr Spielerisches, wie sie sich von Fremdtexten treiben lässt, wie sie ihnen was entgegensetzt, wie sie ihren Raum erweitert und vor allem Stimmungen einbezieht, die sich beim Lesen einstellen, wenn man die am Ende abgedruckte Playlist während der Lektüre mitlaufen lässt. Es ist ein tieftrauriger Zustand, in den man so einbezogen wird. Ausgelöst durch einen fundamentalen, zerstörerischen Liebesschmerz, eine Depression (für die der pinke Mond motivisch steht) und eine noch grundlegendere Verlorenheit in der Welt.

wie hoch ich war, / wie luna luna r / / dann / bin ich ausgegangen, / jetzt findet mich keiner mehr, / es ist einfach zu dunkel. // ich will dich / in eine vase tun, / damit du frisch bleibst, / aber / ich hab mich davongewundert, / jetzt weiß keiner mehr, wo ich bin.

In diese tieftraurigen Töne schießt immer wieder der Quatsch ein. Da wird aus dem Mädchen durch eine simple Vokalverschiebung ein „mödchen“, da wird der Vers „es ist so traurig“ mit einem selbstironischen „schnief“ kommentiert. Dieses Unwägbare elektrisiert einen bei der Lektüre, gibt dem Text etwas Tänzelndes und auch enormes Selbstbewusstsein. Vor allem aber ist diese Kombination aus Traurigkeit und Komik wahrhaftig: Quatsch bringe einen vom Rand weg, meinte Maren Kames im Gespräch, bevor man richtig reinstürze. Das passt auch zum Pop, dessen hypnotisierende, sublimierende Wirkung luna luna durchaus auch kritisch betrachtet. Wenn zum Beispiel ausgerechnet der Tyrann, der im zweiten Kapitel auftritt, Helene Fischers Schlager „Atemlos“ flötet. Überhaupt ist dies auch ein politisches Buch. Das beginnt mit der von Susan Sontag entlehnten Forderung kein „selbstverständliches wir“ zuzulassen. Es wird im zweiten Teil aber auch auf andere Weise konkret, wenn wir in den Krieg ziehen, einem Soldaten im Graben begegnen, wenn es um die Gefahren aus dem All und das Trio aus „Scheitern Schande Scham“ geht.

melden komma haben den stützpunkt vor etwas x kilometern komma zig tagen verlassen punkt garnison flottiert jetzt frei komma hoch motiviert übers feld punkt

Ob das Ich nun eines ist, das die Disziplin der Truppe untergräbt oder die Konventionen der Gesellschaft durch zu viel Gefühl bricht, frei flottierend wird es zum Unheil der Gesamtheit, behauptet zumindest selbige: „wer frei flottiert, der brennt“.

Der Text von Maren Kames hält das aus, ohne zu verflachen. Wichtiger als solche gesellschaftlich deutbaren Kommentare ist aber die Antwort eines weiblichen Ich auf den männlichen Dämon, der als aus einem Hörfehler geborener Teufel, als sheitan, in den Text eintritt und als Gegenspielerin eine geisha erhält. Das Ich entscheidet sich am Ende für die geisha, die alles andere als unterwürfig wirkt. „so jedenfalls, auf diese weise, werde ich mich nie wieder / von jemandem öffnen lassen“, schreibt Maren Kames, die auch ihren wirklich grandiosen Text gegen zudringliche Vereindeutungen abgesichert hat: durch Offenheit!

Insa Wilke
(adaptiert+gekürzt, Originalbeitrag auf WDR Kultur; Foto von Johannes Plenio auf Pixabay)

 

  • Maren Kames: luna luna. Zürich: Secession Verlag 2019. 112 Seiten, hochwertige Ausstattung. 35 Euro

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