Ein junger Regisseur befragt einen alten, ein Bewunderer will einem Meister auf die Schliche kommen: eine leidenschaftliche und persönliche, anekdotenreiche Kinogeschichte: Hat es Spaß gemacht, Mr. Wilder?
Vorbild für diesen aktuell im Kampa Verlag veröffentlichten Band, der vor zwanzig Jahren schon einmal auf Deutsch erschienen ist, war ein Klassiker der Filmgeschichte: Der französische Regisseur François Truffaut hatte Mitte der Sechzigerjahre das bewunderte Vorbild Hitchcock gefragt: „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?“ Cameron Crowe, der als Musikjournalist begonnen und so erfolgreiche Filme wie Jerry Maguire oder Almost Famous gedreht hat, teilt die Neugierde und Leidenschaft mit dem französischen Nouvelle-Vague-Regisseur.
1995 besucht Crowe Billy Wilder zum ersten Mal. Er hat ein Plakat seines Lieblingsfilms Das Appartement dabei, bekommt ein Autogramm und fragt, ob Wilder nicht eine kleine Rolle in Jerry Maguire neben Tom Cruise spielen könne. Daraus wird zwar nichts, aber aus diesem eher schwierigen Beginn entsteht trotzdem eine Arbeitsbeziehung der besonderen Art. Crowe gelingt es, Wilders Widerstände durch Enthusiasmus zu überwinden, er kann ihn für ein langes Interviewprojekt gewinnen. Sie treffen sich in den nächsten zwei Jahren regelmäßig, der Alte lässt sich die Bewunderung und Neugierde des Jungen gerne gefallen. Es entsteht eine Freundschaft – und ein ungemein spannendes Gesprächsbuch.
Wie er mit Schauspielern gearbeitet habe, ob er sich in Marlene Dietrich, Marilyn Monroe oder Audrey Hepburn verliebt (nein), unter Misserfolgen gelitten (ja), wie er bestimmte Szenen oder Dialoge entworfen habe: Crowe kennt jeden Film von und jedes Buch über Billy Wilder. Er fragt nach, insistiert, macht Umwege, provoziert persönliche Erklärungen und Erinnerungen.
Natürlich gibt es hier auch Anekdoten, die Billy Wilder an anderer Stelle schon gerne erzählt hat, dass sich etwa seine alte Tante die Sätze viel besser merken könne als Marilyn Monroe, deren Unzuverlässigkeit ihn rasend machte, „aber wer würde einen Film mit meiner alten Tante sehen wollen?“.
Oder die Geschichte, wie der große Ernst Lubitsch, Wilders bewundertes Vorbild, für den er gemeinsam mit einem Co-Autor das Drehbuch zu Ninotschka schrieb, nicht zufrieden war, weil ihm ein Sinnbild fehlte für die Faszination des Kapitalismus, bis er auf die Idee mit dem Hut kam, den Greta Garbo als Ninotschka am Anfang verachtet und am Ende freudig besitzt. Wilder erzählt von seiner Begegnung mit Sigmund Freud, der den jungen Reporter in Wien umstandslos vor die Tür gesetzt hatte, von seinen Anfängen in Berlin, wo er sein Geld als Eintänzer verdiente und seine Tage im Romanischen Café verbrachte, von seiner Mühe mit der englischen Sprache und dass und wie Lubitsch an einem postkoitalen Herzinfarkt starb. Es gibt hier jedoch nicht nur Anekdoten und Geschichten über Stars und Dreharbeiten, es geht auch um weitreichendere professionelle Fragen: Wann und warum sich Wilder für ein Projekt, eine Schauspielerin entschieden hat, wie er mit Musik umgegangen ist, mit der Großaufnahme, der Erzählerstimme. Bewunderte Regisseure kommen ebenso vor wie von Wilder besonders gelobte Filme wie Der Pate oder solche, die er verabscheute wie Titanic.
Crowe beschreibt die Treffen, Wilders Beharren auf Pünktlichkeit, seinen Gesichtsausdruck, die körperlichen Malaisen des Hochbetagten, seine offensichtlich besonders harmonische Ehe. Es geht um Witze und lästige Telefonanrufe – und um die Zumutungen des Alters, denen aber die immerwährende Neugierde entgegensteht. Wilders professionelles Motto, niemals zu langweilen, ist auch die Grundlage dieser klugen und unterhaltsamen Gespräche über das Kino und über das Leben eines Könners und Künstlers, der betont, er habe immer Filme zur Unterhaltung gemacht.
Manuela Reichart
(adaptiert, Originalbeitrag auf rbbKultur)
- Billy Wilder: Hat es Spaß gemacht, Mr.Wilder? Gespräche mit Cameron Crowe. Aus dem amerikanischen Englisch von Rolf Thissen. Zürich: Kampa Verlag 2019. 496 Seiten. 26 Euro. Auch als E-Book.