„Ich bin ich plus meine Instant-Fotos. Das ganze Universum hat in einem Hotel Platz, und das ganze Hotel in einer Polaroidkamera.“ Tony Lafont, der „Mann mit der magischen Kamera“ aus dem gleichnamigen Roman von Pedro Badrán (erschienen in der edition 8), hat sich vorgenommen ein vom Abriss bedrohtes Hotel in Cartagena de Indias in Fotografien festzuhalten, in all seinen Details, mit all seinen Gästen. Die Gäste sind Touristen, Hippies, aber auch Obdachlose und Verlierer, die am Rand der kolumbianischen Gesellschaft stehen. Unter den Figuren, die als verschiedene Ichs zu uns sprechen, finden sich eine vagabundierende Jongleurin, ein Mann, der auf der Straße Eulen aus Draht verkauft, Charlie, der an der Rezeption des Hotels arbeitet, oder Claudia Soraya, eine Touristin, die eine Liebesbeziehung mit dem Fotografen hat.
So wie Tony darauf versessen ist, das Hotel in Bildern festzuhalten, sind die Gäste darauf versessen, vom „genialen Fotografen“ fotografiert zu werden. Warum das so ist, mag über weite Strecken der Lektüre nicht einleuchtend sein, denn obwohl der Name ständig fällt, erfährt man so gut wie nichts über Tony. Die Beziehungen zu ihm werden von den Figuren nur behauptet, zu spüren bekommt man davon nichts. Leider finden sich diesbezüglich auch keine Offenbarungen durch die ständigen Stimmen- und Perspektivwechsel. Was die weiblichen Stimmen betrifft, bleibt zu hoffen, dass Badrán mit dem lateinamerikanischen machismo spielen möchte. Dieses Spiel ist ihm nicht ganz gelungen, etwa wenn er schreibt, wie Claudia dem brillanten Tony in seinen – nicht allzu komplexen – Überlegungen „nicht folgen kann“ und er im Gegenzug keine ausdifferenzierte Frauenstimme bietet.
Gegen Ende ertrinkt Claudia Soraya im Meer. Einige Kapitel später hören wir sie wieder sprechen, nur diesmal nicht als Mensch, sondern als Geist. Spätestens dann erklärt sich die Gefühlskälte im Text: Tony ist wohl gar kein Mensch im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine Instanz, eine Allegorie auf das „Unsterblichmachen“. Die Gäste des Hotels hängen an ihm, weil sie wissen, dass sie gemeinsam mit diesem Hotel untergehen, dass ihre Leben am Abgrund stehen. Der Fotograf ist die Versicherung weiterzuexistieren – ob als Mensch oder Geist ist nebensächlich. Darin steckt neben der titelgebenden „magischen Kamera“ der zweite Verweis auf die Tradition des magischen Realismus, schließlich befinden wir uns in Kolumbien, dem Land von Gabriel García Márquez.
Hier wird vom Untergang erzählt, der, solange man das Untote ins Leben einbezieht, kein endgültiger sein muss. Ohne Hoffnung, ohne Verzweiflung. Sin esperanza y sin desesperación.
- Pedro Badrán: Der Mann mit der magischen Kamera. Roman. Aus dem kolumbianischen Spanisch von Peter und Rainer Schultze-Kraft. Zürich: edition 8, 2019. 224 Seiten. 22,20 Euro