Ein Flugzeugabsturz über dem Südpazifik. An Bord: die Tochter des vermögenden „Parkhauspapstes“ und Politikers Ferdinand Palm. Rund um das Unglück und die verschollene Marina Palm tauchen in mehreren Episoden des Romans Und andere Formen menschlichen Versagens (weissbooks.w) Figuren auf, die auf irgendeine Weise mit ihr in Verbindung stehen. Was eine Tragödie sein könnte, stellt sich bald als schwarze Komödie heraus.
Die Geschichte ist in den Jahren zwischen 1992 und 2017 angesiedelt, wobei die Kapitel in unterschiedliche Settings führen, für die Lennardt Loß tadellos den jeweiligen authentischen Wortschatz parat hat. Man folgt etwa einem ehemaligen RAF-Terroristen, der mit Marina Palm im Flugzeug gesessen ist, ihrer Mutter, die davon träumt, einen Splatterfilm zu drehen, oder ihrem Freund, der sein Geld mehr schlecht als recht als Boxer verdient. Die Storys dieser Figuren sind zum Bersten voll mit Ereignissen. Die Überfülle kommt dabei so selbstverständlich daher, dass man keinen Grund sieht, darüber nachzudenken, wie plausibel der ein oder andere Handlungsfetzen ist, sondern sich lieber dem irrwitzigen Fabulieren hingibt. Durch die Wahl des episodischen Erzählens zwängt sich der Autor in ein freiwilliges Korsett, wobei die Kapitel inhaltlich und thematisch unvorhersehbar genug verknüpft sind, dass es aufregend bleibt.
Während der Absturz die Story des Buches in Gang setzt, merken die Figuren bald, dass so ein Unglück eine „Story“ ist, die man für seine Zwecke einsetzen kann. Ein Profiteur ist Kapitän Gabor, der ein Absturzopfer rettet, nur um von einem Debakel auf seinem Kreuzfahrtschiff abzulenken. Die Episode auf dem Schiff ist die stärkste, und man könnte sich einen ganzen Roman ausgehend von Kapitän Gabor und seiner Crew wunderbar vorstellen.
Wirklich interessant ist der Flugzeugabsturz oder die Frage nach Überlebenden nicht. Das Spannende liegt vielmehr in den Miniatur-Sozialstudien, die der Text präsentiert, der stets von Geld, Armut, Abstieg, vertanen Chancen, dem Versagen handelt. Mit dem Eintauchen des Flugzeugs ins Meer taucht man ein in deutsche Ungleichheit, deutsche Geschichte, die deutsche Seele gar, etwa wenn vom Mauerfall und RAF-Terroristen die Rede ist, Audi und Porsche gefahren und Rotkäppchen Sekt getrunken wird. Oder wenn deutsche Städte in ihrer Trostlosigkeit beschrieben werden. „Horror lief nicht gut in Güffingen. Eigentlich lief gar nichts gut in Güffingen.“
Das ist ein ansprechend respektloses Deutschlandbild. Das macht Spaß.
- Lennardt Loß: Und andere Formen menschlichen Versagens. Roman. Zürich: weissbooks.w 2019. 159 Seiten, gebunden. 20 Euro