Sabine Gisin: Teneber Vid (verlag die brotsuppe)

Teneber Vid von Sabine Gisin, kürzlich erschienen im Schweizer verlag die brotsuppe, ist mit rotem samtartigem Stoff gebunden, ein handstreichelfreudiges Buch. Die ersten beiden Seiten erzählen von einem Mädchen, das von seinem Vater herumgewirbelt wird, dessen Spielvorhaben er begleitet und unterstützt und das von ihm „mein Kapitän“ genannt wird. Der Vater erzählt ihm vom „schrecklichsten aller Geister“: Teneber Vid, dem hin und wieder Opfer gebracht werden müssen, „um ihm nicht anheimzufallen“.

„Das Mädchen“ bleibt auf den folgenden dreiundneunzig Seiten die Hauptfigur, auch wenn die Handlung zu erkennen gibt, dass es als erwachsen gilt. Als Erstes will es in die Stadt, lässt sich in einer Toilette von einem Mann ansprechen, befriedigt ihn mit der Hand und wird in seinem Auto mitgenommen. Das Mädchen kennt keinen Smalltalk, es spricht märchenhaft, der Mann findet es zwar unlocker, sagt aber auch, „wie du sprichst, das wird auffallen …“ und liefert es wie gewünscht in der Stadt im Schloss ab. Sein Zimmer erscheint ihm wie eine Zelle. Aber es trifft auf einen Mitbewohner: Der Junge (ein Komponist) bekocht es, kann im Gespräch mit seiner Sprechweise mithalten und fährt kurz darauf im Bus mit ihm ans Meer. Bei einem schicken Empfang im Schloss erscheint der Junge nicht. Das Mädchen trifft dort auf einen Maler, es verbringt die Nacht mit ihm, nach dem Sex fällt der Mann „vom Mädchen ab wie eine reife Birne vom Ast“, am nächsten Morgen wacht es alleine auf.

Es unternimmt wieder einen Ausflug mit dem Jungen, sie machen die Bekanntschaft eines weiteren Mädchens und werden zu einem Konzert eingeladen. Das Mädchen lotst den Jungen in einen anderen Raum, trinkt mit ihm, er rät ihm ein „bißchen locker“ zu sein. Kurz darauf gelingt Ekstase im Tanz, dem Mädchen fährt der Finger des anderen in der Unterhose herum, später schläft es mit dem Jungen. Beim Aufwachen liegt es mit dem anderen Mädchen auf der Brust des Jungen. Der Hangover ist bös, das Mädchen geht allein zurück ins Schloss, und die Unbehaustheit wird akut. Die selbst gewählte Isolation in seinem Zimmer unterbricht einzig eine Putzkolonne. Das Mädchen übersiedelt heimlich in ein anderes, holt sich nachts Essen aus der Küche und pinkelt ins Waschbecken. Den Jungen trifft es einmal, er hat Mitleid, aber er entzieht sich. Später findet das Mädchen einen Kräuterladen, bekommt Mitgefühl, Sirup und Tee und verlässt schließlich das Schloss.

Schon Caesar fand die dritte Person für den Bericht über seine Kriegsführung in Gallien schlagkräftig, allerdings beschrieb er sie nicht in einem grammatikalisch neutral gesetzten Geschlecht. Auch Caesar wollte kaum vorrangig witzig sein. Tatsächlich liest sich Caesar am besten erdacht in Thornton Wilders Die Iden des März, wo Catull sich an seiner Gestalt abarbeitet – unter anderem.

Gesche Heumann

 

 

  • Sabine Gisin: Teneber Vid. Roman. Biel: verlag die brotsuppe 2019. 104 Seiten, gebunden. 22 Euro

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