Bereits zwei Titel hatte der Elfenbein Verlag von Marcel Schwob (1867–1905) wieder bzw. neu herausgegeben, als der Verleger Ingo Držečnik zusammen mit dem Übersetzer Gernot Krämer überlegte, einen Band über den französischen Autor, der nicht nur im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten war, zusammenzustellen. Nach Das gespaltene Herz, das 2005 anlässlich des 100. Geburtstages des Autors in der Übersetzung von Gernot Krämer herauskam, und Der Kinderkreuzzug (2012) war es für den Verlag keine Frage, diesen Autor, der seit 1891 praktisch jedes Jahr einen weiteren Erzählungsband veröffentlichte und daneben für verschiedene Zeitungen schrieb, weiter zu pflegen. Denn zu Lebzeiten habe Schwob, so Krämer in seinem ausgezeichneten Nachwort, in seinem literarischen Umfeld, zu dem André Gide, Paul Valéry, Alfred Jarry, Paul Claudel, Colette, Jules Renard oder Stéphane Mallarmé gehörten, als ungewöhnlich sprachbegabt, belesen und brillant gegolten. Der nächste Schwob-Band sollte also eine Biografie enthalten sowie Texte und Briefe, die Auskunft über sein Leben und Schreiben geben. Vielleicht, so die Überlegung, würde ein solches Buch zusätzliche Leserinnen und Leser für Schwob gewinnen können, denn auch für Elfenbein gilt, wie für viele andere unabhängige Verlage, dass die Bücher, die sie veröffentlichen, weil sie sie lieben, unter die Leute und in die Buchhandlungen gebracht werden müssen. Denn es ist eine Binsenwahrheit, dass ein Verlag nur existieren kann, wenn er seine Bücher auch verkaufen kann. Trotzdem wurde das Biografie-Projekt bis heute nicht verwirklicht. Denn bei der Arbeit wuchs die Idee, nicht über Schwob zu schreiben, sondern Schwob sprechen zu lassen, und zwar in seinen Briefen, die er von der Reise nach Samoa 1901/1902 an seine Ehefrau, die Schauspielerin Marguerite Moreno, geschrieben hatte.
Diese Briefe, obwohl privater Natur, fesseln uns Leserinnen unmittelbar, erzählen sie doch persönlich und ungeschminkt von Schwobs Erfahrungen auf seiner Reise, von sympathischen und Ärger erregenden Mitreisenden, von Gewitterstürmen und Seekrankheit, vom Vorherrschaftsanspruch der Weißen, Letzteres wird von Schwob heftig kritisiert. Manapouri. Reise nach Samoa 1901/1902, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gernot Krämer und erschienen 2017, ist Lesevergnügen, Lektion in Kolonialgeschichte und Einblick in eine wohl nicht unproblematische Ehe – trotz der vielen »Ich liebe dich mehr als mein Leben«, die manchen Brief abschließen – in einem (siehe Beitrag von firwitz auf dem Hotlistblog).
Weshalb er Manapouri von Marcel Schwob bei der Hotlist eingereicht habe? Nun ja, antwortet Ingo Držečnik, er habe schon beobachtet, was in den vergangenen Jahren auf die Hotlist kam und mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde, und sich gedacht, dass die erzählende Literatur mehr Chancen habe als etwa experimentelle Texte. Doch viel wichtiger sei für ihn gewesen, dieses tolle Buch, das seit einem Jahr gute Presse bekomme, was leider (und wie man weiß) nicht unbedingt mehr Verkäufe bewirke, auf diesem Weg nochmals einem anderen Lesepublikum vorzustellen.
Gegründet wurde der Elfenbein Verlag 1996 in Heidelberg von Ingo Držečnik und Roman Pliske. Der Umzug nach Berlin erfolgte 2001. Heute führt Držečnik den Verlag alleine, nachdem Pliske 2004 die Geschäftsführung des Mitteldeutschen Verlages in Halle übernommen hat, jedoch dem Elfenbein Verlag freundschaftlich verbunden geblieben ist und auch weiterhin beratend zur Seite steht. Jährlich erscheinen sechs Bücher. Schwerpunkt bilden Erst- und Neuausgaben von Werken der modernen Klassik – neben Marcel Schwob etwa Pierre de Ronsard, Maria Luisa Weissmann, Anton Schnack, Anthony Powell – sowie deutschsprachige und internationale (u. a. Griechenland, Portugal) Gegenwartsliteratur.
Der Elfenbein Verlag zeichnet sich als feiner Verlag aus, der sich dem literarischen Mainstream verweigert und mit literarischen Köstlichkeiten aufwartet. Schön gestaltet, mit Fadenheftung und bedrucktem Vorsatz, sind sie auch fürs Auge eine Freude. Trotzdem bleibt das Überleben seit Jahrzehnten ein Thema. Während sieben Jahren (2007–2014) hat man sogar einen eigenen Buchladen geführt, die Elfenbein Literaturhandlung mit ausgesuchten Büchern ausgesuchter Verlegerkolleginnen und -kollegen im Sortiment. Doch – so ist auf der Verlagswebsite zu lesen – »letztlich hat es sogar in Prenzlauer Berg (wer hätte es gedacht?) zu wenig Kunden für ein Ladengeschäft ausschließlich mit Büchern kleinerer, feiner Verlage gegeben«.
Seither konzentriert sich der Verleger wieder auf das Kerngeschäft und geht unermüdlich auf Entdeckungsreisen, um uns weiterhin seine Trouvaillen in Buchform vorzulegen. 2018 wurde der Verlag für sein Wirken belohnt mit dem Preis der Kurt Wolff Stiftung, der Interessenvertretung unabhängiger deutscher Verlage.
Liliane Studer
- Marcel Schwob: Manapouri. Reise nach Samoa 1901/1902. Herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Gernot Krämer. Berlin: Elfenbein Verlag 2017. 216 Seiten, 22 Euro.