Die unsichtbaren Bewohner der Vorstädte
Langsam werden die Tage kürzer, es wird abends kühler und früher dämmrig. Im hellen Sonnenlicht fällt es uns vielleicht schwer, aber bald können wir wieder an die Wesen glauben, die Keaton Henson uns in seinem Buch Gloaming zeigt, das im Luftschacht Verlag erschienen ist – dem Spezialisten für Graphic Novels und Artverwandtem.
Der Künstler war ein fantasievolles Kind: Laut seiner Erklärung zu diesem Buch stellte er sich die Vorstadt, in der er aufwuchs, bevölkert von Monstern vor, jedoch nicht von denen aus Märchenbüchern, sondern von solchen, die genau in die suburbs gehören und geradezu aus ihnen herausgewachsen zu sein scheinen. Ihnen ist Gloaming gewidmet. Es erzählt keine fortlaufende Geschichte, daher wäre der Begriff graphic novel nicht richtig gewählt. Allerdings enthält es keine Zeile Text; die ausdrucksstarken Bilder sprechen für sich, und die Monster sprechen mit ihren Körpern. Auf den meisten Bildern sind sie allein, auch wenn mehrere von ihnen zu sehen sind, aber sie scheinen den Kontakt zu suchen, auch zur Welt der Menschen. Sie haben etwas Geisterhaftes an sich und scheinen für Menschen (zumindest für die meisten) unsichtbar zu sein, gleichzeitig sind sie körperlich sehr präsent, oft beinahe schwer. Viele sehen bizarr, beinahe hässlich aus und wirken doch zart und verhalten – all diese Gegensätze wirken in der Welt, die der Autor und Zeichner entwirft, gar nicht so gegensätzlich.
Auch der Zeichenstil vereint unterschiedliche Aspekte, einerseits Flächen und starke Schwarz-Weiß-Kontraste, andererseits Details und feine Schraffuren. So entsteht eine ganz eigene, traumhafte Atmosphäre, deren Schauplätze andererseits austauschbar anmuten – triste Vorstadthäuser, leer gefegte Straßen, Dächer mit Fernsehantennen, Ebenen mit Hochspannungsleitungen, Wälder mit völlig symmetrisch stehenden Bäumen, Andeutungen von verschmutzter Umwelt.
Keaton Henson ist vor allem Musiker, er tritt jedoch nicht gern auf. Laut eigener Aussage bleibt er am liebsten in seinem Zimmer und schreibt Songs. Wahrscheinlich ist es auch am passendsten, das Buch Gloaming alleine durchzublättern und dabei immer wieder aus dem Fenster zu schauen. Wahrscheinlich leben viele von uns in einer Umgebung, die der dargestellten Landschaft ähnlich ist, und vielleicht können wir erahnen, dass sie nicht nur von Menschen bevölkert ist.
- Keaton Henson: Gloaming. Wien: Luftschacht Verlag 2017. 112 Seiten. 23,70 Euro.
Miriam Mairgünther