Yi Luos Namen wird man noch öfter lesen in nächster Zeit und hoffentlich darüber hinaus. Gerade wurde die in Augsburg lebende Comickünstlerin, auch unter ihrem Bloggerinnen-Namen Yinfinity bekannt, mit einem Literaturstipendium des Bayerischen Staates geehrt. Dabei ist ihre Graphic Novel Running Girl gerade erst im Berliner Verlag Reprodukt erschienen.
In Yi Luos Debüt geht es, das ist offensichtlich, um die Erfahrung, fremd zu sein: Die Hauptfigur, Li, wirkt, als würde sie zwischen den Welten feststecken und somit in keiner ganz anwesend sein. Sie ist an der Uni und, fast noch mehr, in ihrem Nebenjob im Restaurant rund um die Uhr beschäftigt. In Gedanken ist sie in China, und wenn sie an China denkt, denkt sie an Chen. Chen ist so etwas wie ihre große Liebe. Er ist auch ein Anker, der sie in der vertrauten Ferne festhält – und als solcher eine ziemlich verführerische Projektionsfläche.
Aber es gibt noch weitere und vielleicht noch komplexere Welten, zwischen denen sie sich befindet: die Wirklichkeit und die Vorstellung zum Beispiel. Wenn sie über Skype mit Chen spricht, schrumpft die Distanz zwischen ihnen beiden – zumindest fühlt es sich kurz so an, ehe einer von ihnen zu gähnen anfängt, weil die Zeitverschiebung sich einmischt, oder Chen sich entschuldigt, weil in der Ferne auch er ein Leben führt; eines, an dem sie nicht teilhaben kann. Es wird sehr viel taggeträumt, gewünscht und gehofft in dieser Erzählung.
Ein anderer Welten-Clash findet mitten in Deutschland statt: Die Uni, an der die frühere Einserstudentin wegen der fremden Sprache und all den anderen fremden Codes sich nicht zurechtfinden kann, und das Sushi-Restaurant, in dem sie arbeitet, sind je ganz eigene Universen. Um sich zwischen ihnen hin und her zu bewegen, muss das Running Girl sich häufig ganz schön beeilen.
„Die Köche geben sich viel Mühe, etwas zuzubereiten, das weder japanisch noch chinesisch ist.“
Dieses Schwellenreich, wo zwischen den Kulturen eine neue, eigene Nische entsteht, scheint wie gemacht für Li. Die Aquarellzeichnungen passen wunderbar zu dem nicht-greifbaren Dazwischen. Es ist ein fluider Zustand; wenn man ihm ein Element zuordnen wollte, dann wäre das wohl tatsächlich das Wasser. Es wird nicht didaktisch herumerklärt und keine gängigen ikonischen Zeichen bemüht; es kommt keine kafkaeske Szene bei deutschen Einwanderungsbehörden vor oder im Prüfungsamt der Uni. Diese leise, unaufgeregte Erzählung macht stattdessen mit scheinbar einfachen Mitteln das Gefühl des Fremdseins spürbar. Aber auch das Gefühl, sich selbst – einem eigenen, früheren Leben – fremd zu werden.
Yi Luo: Running Girl. Graphic Novel. Berlin: Reprodukt 2016. 32 Seiten. 10 Euro