Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Beim Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Bücher, oft die Großform Roman, solcher AutorInnen zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle Prosa schreiben.
Heute wird es viel wärmer als gestern, und wir freuen uns über unseren neuen Gast in unserer Prosa-Reihe – die junge österreichische Autorin Katharina J. Ferner. In ihrem pointierten Kurztext Bühnenperspektiven verkehrt sie kurzerhand Sichtweisen und macht etwa, als genau Wahrnehmende, eine Lesende zur Zuschauerin. Ihr Romandebüt Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste erschien 2015 im unabhängigen Verlag Wortreich (Verlagsporträt hier).
Bühnenperspektiven
Es ist immer eine Außenperspektive, ein außen vor, die Zuschauerperspektive von oben. Der Bühnenrand ist unsichtbar, das Mikrofon knackst und die Stimme, die spricht, ist nicht dieselbe, die man von Tonaufnahmen kennt. Manchmal wird über Seiten gehetzt und geholpert und niemand bemerkt es, aber selbst beißt man sich auf die Zunge und es wird heiß im Kostüm. Beim Tanzen geht da alles ganz einfach. Die Kleiderstücke werden weggeworfen, eines nach dem anderen, und alle denken, es gehört dazu, und wenn die Reißverschlüsse einmal klemmen, lächelt man das einfach weg. Es ist so: Du schaust ins Publikum und kennst alle. Und du weißt, gleich kommt eine Sexszene. Und du stellst dir alle nackt vor, in der Schule haben sie immer gesagt das hilft, aber jetzt siehst du nur die Cellulitestreifen und die faltigen Brüste und schluckst. Und dann nimmst du einen Schluck Wasser, aber es ist Kohlensäure darin, und du merkst, wie dir die Luft den Hals hochkommt, sich hochdrückt. Räuspern. Sesselwetzen. Die Moderation ebbt ab, dein Atem ist so laut, dass es dir vorkommt, als würdest du ins Mikrofon rotzen. Du siehst, wie die ersten Leute einnicken, sprichst schnell und klar und manche reißen die Augen wieder auf, stoßen vor Schreck mit dem Fuß ans Weinglas. Es klingt in den Ohren nach. Würdest jetzt auch lieber sitzen und Wein trinken. Blätterst um. Hast gar nicht bemerkt, dass der Satz schon zu Ende war, bist unaufmerksam, abgelenkt, hängst eigenen Gedanken nach. Schaust kurz hoch. Wohlwollendes Nicken. Du lächelst und schaust an den Menschen vorbei, die du nicht kennst, schaust, wie lange der Weg zur Tür, zählst die Treppen, die Minuten. Irgendwo tickt eine Uhr, aber du siehst sie nicht, hörst sie nur. Tick, tick, tick. Jemand wackelt mit dem Fuß. Jemand schnauft. Gelächter. Schaust auf die Buchseiten. Kennst die Worte auswendig, verlierst die Zeile, ohne es zu bemerken, rezitierst du den Text. Die Perspektive verwackelt. Aufstehen, Hände schütteln, krampfst die Finger, klebrig vom Wein, hast das Glas zu schnell hochgehoben, schwungvoll an die Lippen gesetzt, rote Ränder am Glas, dunkelrote Innenlippen, leckst mit der Zunge, sieht später hässlich aus auf den Bildern. Dass sie viel getrunken hat, werden sie sagen. Sie sagen immer etwas. Das ist gut, solange sie reden, wirst du nicht totgeschwiegen, bist du Thema, bist du präsent, bist du.
Auf der Bühne sterbe ich gleich am Anfang. Ich liege dann am Bretterboden und bemühe mich nicht einzuschlafen, bis ich weggetragen werde. Aber das dauert noch mehrere Szenen. Ich spreche den Text in Gedanken mit, bevor ich abdrifte, den Geräuschen des Publikums lausche. Erbostes Schnaufen, Gelächter, ein Handy vibriert. Der Boden ist kalt und ich habe nicht aufgepasst beim Fallen, spüre die Knochen ächzen, die Schulter eigenartig verdreht, sieht echt aus, vielleicht. Ich versuche flach zu atmen, gleich schließen sie mir die Augen, endlich, sie tränen schon. Beinahe muss ich kichern, als mir mein Kollege ins Gesicht schaut. Er errötet, obwohl ich an ihm vorbeischaue, sehe ich, wie sein Gesicht rote Flecken bekommt. Gleich wird er zu schwitzen beginnen. Nicht auf mir, dieses Mal nicht. Was hinter der Bühne passiert, bleibt dem Publikum verborgen. Nur manchmal dringen Fetzen eines Streitgesprächs nach vorne, dann wird die erste Reihe unruhig und das Schnaufen nimmt zu, noch bevor die Vorstellung überhaupt begonnen hat. Ich lasse mich hängen, während mich die anderen von der Bühne tragen, obwohl ich weiß, dass sie mich dafür verfluchen. Mache mich extra schwer, damit sie sich richtig anstrengen müssen. Alles nur gespielt, denkt der Theaterkritiker. Ich kann seine Gedanken durch den Raum fliegen hören. Morgen bekommen wir eine Doppelseite im Feuilleton. Nur die Tote war gut, wird er schreiben. Die hat still gehalten, sich das Atmen nicht anmerken lassen. Die Tote steht jetzt auf, schleicht sich in die Umkleide und trinkt dort Wein. Rauchen ist verboten, wegen der Feuermelder, sie hatten schon mal einen Alarm. War unangenehm, war teuer, die Stimmung im Eimer. Sie wartet das Stück ab, bis zum Ende haben sie die Zuschauer schon vergessen. Wenn sie auf die Bühne kommt, werden sie überrascht sein. War sie das, die am Anfang. Der Kritiker wird schon gegangen sein. Er weiß, wie Stücke ausgehen.
Am liebsten tanzt sie auf dem Dach, im Morgengrauen, noch bevor die Stadt die Augen aufschlägt. Die Musik im Kopf, im Herzen. Trägt sie in den Adern und der Brust. Die Schritte folgen einem eigenen Takt, verdrehte Beine, manchmal landet ein Schuh in der Dachrinne, weckt dann das Haus auf, erste Beschwerden aus den Fenstern. Die kalte Morgenluft macht den Atem kurz, die Bewegungen knapp. Der Himmel ist ein stummes Publikum, die Regentropfen der Applaus, der Beton schürft die Füße. Mit blutigen Knien ins Haus kommen, das gehört zum guten Ton. Die Zehen verkrampft, verknöchert. Zum Frühstück eine Banane, den Magen nicht zu sehr beschweren. Wenn die Arbeit dahinter getan, die Atemluft ausgetanzt, die Rippen unter glitzerndem Stoff versteckt sind. Das Ergebnis kann sich sehen
lassen. Es ist so: Du stehst in diesem Kreis in der Mitte und es sitzen Leute um dich herum. Du könntest jetzt sagen – das ist keine Bühne –, weil die sind ja auf der gleichen Ebene wie du und so. Aber du stehst da – ganz allein, lässt Federn und Fransen. Und die Leute schauen dich an, so als würden sie echt etwas erwarten, als würdest du jetzt gleich den Weltfrieden erklären. Ein bisschen so. Und du schlägst die aufgeklebten Wimpern auf und nieder und hoffst, dass man dein Atmen nicht hört, weil das wäre dann mehr ein Keuchen, weil du so nervös bist. Und du hoffst, dass die Leute glauben, dass das Zittern am linken Fuß dazugehört, dass das quasi schon zur Einlage, so wie ein Shimmy nur mit den Füßen. Und das funkelt auch schön, du siehst die Glitzerpartikel reflektieren. Der Lichtkegel tastet dich ab, als wärst du aus dem Hochsicherheitsgefängnis ausgebrochen, du willst wegrennen, bleibst aber wie angewurzelt.
Und plötzlich ergibt die kreisförmige Anordnung des Publikums Sinn, es gibt kein Entkommen. Sie federt, um die Muskeln aufzuwärmen, setzt an zum Sprung. Der Körper verkeilt sich in der Luft, es ist ein Kampf mit der Schwerkraft. Das Publikum hält den Atem an. Sie kommt ganz sanft auf, der große Krach bleibt aus. Stattdessen – tosender Applaus.
- Katharina J. Ferner, 1991 in Salzburg geboren, lebt und schreibt seit 2009 vorwiegend in Wien. Studien der Slawistik, Skandinavistik, Deutsch als Fremdsprache. Zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien. 2015 Nominierung im Rahmen des Literaturwettbewerbs Wartholz. Ihr Debütroman Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste erschien 2015. Redakteurin bei der Literaturzeitschrift &Radieschen. https://www.facebook.com/KatharinaJFerner
(Foto Autorin: Natalia Turczynska)
- Katharina J. Ferner: Wie Anatolij Petrowitsch Moskau den Rücken kehrte und beinahe eine Revolution auslöste. Wien: Verlag Wortreich 2015. 160 Seiten. 19,90 Euro. Auch als E-Book erhältlich
(Senta Wagner)