Die Nachricht hat schon die Runde gemacht, Monika Rinck kommentierte sie sogleich mit einem „juchu!” auf Twitter, aber an dieser Stelle darf sie natürlich auch nicht fehlen (ohne Hotlist-Preis kein Hotlist-Blog):
Am Buchmesse-Freitag wurden der Preis der Hotlist 2015 und der Melusine Huss-Preis verliehen. Der Gewinnerin (Daniela Seel) und dem Gewinner (Jörg Sundermeier) herzlichen Glückwunsch!
(Ich würde diesen immer etwas pauschal formulierten Glückwunsch präzisieren wollen zu einem Wunsch nach vermehrter treuer Aufmerksamkeit für die seit nunmehr 12 bzw. 20 Jahren geleistete hervorragende Arbeit der prämierten Verlage, die – dies versteht sich von selbst – stellvertretend stehen für viele andere unabhängige Verlage.
Nicht alle sind sie im Verein der Hotlist, in der Kurt Wolff Stiftung, bei der Arbeitsgemeinschaft österreichischer Privatverlage (die leider keine Webseite hat) oder bei den Swiss Independent Publishers SWIPS organisiert, aber alle vier Institutionen bieten eine umfangreiche und ansehnliche Auswahl qualitätvoller Verlagsarbeit abseits von Konzernstrukturen.
Damit sollen aber nun nicht die großen (Konzern-) Verlage gebasht werden, so wenig wie andererseits „Indie” zu sein allein schon eine Qualitätsgarantie bedeutet, es gilt auch hier zu prüfen. Sondern darum geht’s: aufzuzeigen, was es auch noch gibt, und was wegen mangelnder oder kleiner Werbeetats nicht immer in der verdienten Weise Berücksichtigung findet. Es reicht ja nicht, in der Zeitung vorzukommen: Bücher werden über Buchhandlungen verkauft, und dort müssen sie liegen. (Dass manch kleine Buchhandlung ebenso selbstausbeuterisch arbeitet wie die Verlage, die sie unterstützen soll, ist allerdings auch wahr.) / mr
Aus der Pressemitteilung:
Der mit 5000 Euro dotierte Preis der Hotlist 2015 geht an den Verlag kookbooks für Monika Rincks Essays Risiko und Idiotie.
Der von Buchhändlerinnen und Buchhändlern gewählte Melusine Huss-Preisträger ist in diesem Jahr der Verbrecher Verlag für Anke Stellings Roman Bodentiefe Fenster. Der Verlag kann sich über einen Druckgutschein der Druckerei Theiss im Wert von 4000 Euro freuen.
Die Begründung der Jury für den Hauptpreis lautet:
„Die als Lyrikerin bekannte Monika Rinck legt einen Essayband vor, in dem sie den Möglichkeiten des Verstehens von Dichtung, von Kunst überhaupt nachforscht. Rinck stellt darin Gewissheiten infrage und umkreist die Kerne ihrer Themen. Dazu gehört vor allem das Spannungsverhältnis der Schriftstellerin in der Gesellschaft. Ihre Überlegungen sind nicht eingängig, erschließen sich nicht auf den ersten Blick, doch wer sich darauf einlässt, wird mit überraschenden Einsichten, mit Perspektivwechseln und spielerischen Denkbewegungen belohnt. Es begegnet uns hier eine Autorin, die sich aussetzt und einmischt – mit allen ihren Widersprüchen und auf der Höhe der Zeit. Rincks Essays haben einen ganz eigenen Ton, deutlich ist ihnen anzumerken, dass hier eine Dichterin spricht. Ihre Texte durchkreuzen absichtlich Erwartungshaltungen, sie sind Denkabenteuer: witzig, philosophisch, verstiegen, aber immer anregend.
kookbooks – der Verlag, in dem die Essays wie auch mehrere Lyrikbände von Monika Rinck erschienen sind – wurde 2003 gegründet und hat sich in zwölf Jahren zu einem der wichtigsten jungen Verlage entwickelt. Risikofreudig und innovativ, professionell und mutig hat er sich insbesondere der Lyrik verschrieben. Überzeugend ist die grafische Gestaltung der Bücher von Andreas Töpfer. Seine Schutzumschlag-Grafiken – eigentliche Kunstwerke – harmonieren hervorragend mit dem gesamten Verlagsprogramm und bringen die avantgardistischen Inhalte gut zur Geltung.”
Stimmen zu Risiko und Idiotie (ein ausführlicherer Blog-Beitrag wird hier im Rahmen des Hotlistlesens folgen)
„Rincks Streitschriften sind eine fordernde, aber lohnende Lektüre. Auf die selbstgestellte Frage, ob die Autorin gerne schwierig sei, findet sie, wie zu erwarten, keine schnelle Antwort. Dennoch scheut sie es nicht, deutlich Position zu beziehen und verwehrt sich etwa gegen Heinz Schlaffers Diktum, wonach Gedichte eine ‚einseitige Sprechhandlung‘ seien, ohne Wirkung und ohne Adressaten. Rinck besteht darauf, dass es sowohl Reaktionen und auch Adressaten gebe und ‚zuweilen sogar Aufträge‘.” – Udo Kawasser, http://www.fixpoetry.com
„Das Buch ist mit ‚Streitschriften‘ unterschrieben. Doch der direkte Angriff ist die Sache des Idioten nicht. Zunächst muss er parieren, und Rinck pariert im Stile einer Aikido-Kämpferin, die die Energie des Angreifers aufnimmt und gegen ihn selbst wendet. Der Idiot steht einer Allgemeinheit gegenüber, die ihn nicht versteht, oder zumindest nicht verstehen will. Das letzte aber, was Rinck will, ist, diesem Umstand mit Larmoyanz zu begegnen. Zentrale Begriffe sind Albernheit und Humor. Und: ‚Der Idiot möchte gegen die allgemeine Anspannung, die sich als bloßes Funktionieren begreift und damit gleichsam verleugnet, Überspanntheit als Konstitution setzen.‘ Ein wichtiges Buch im Kontext der Diskussion um die Relevanz von Lyrik, aber es wäre eben nicht so wichtig, würde es sich auf den avisierten Gegenstandsbereich beschränken. Lesen!” – Jan Kuhlbrodt, http://www.signaturen-magazin.de
Zur Gelegenheit der Preisvergabe halte ich auch noch mal einen früheren Essay-Band von M. Rinck in die Kamera, nämlich Ah, das Love-Ding!
„Was stellt sich ein, wenn Leute etwas zusammen machen? Was wäre das, was nur die Gruppe enthalten kann? Und vor allem: ‚Wie geht vorbereiten?’ In ihrem poetischen Essay Ah, das Love-Ding! erkundet Monika Rinck die Transit-Räume und changierenden Übergänge von Singular zu Plural. Nicht Sublimierung, Substitution oder Entzug gibt sie den Protagonisten dieser éducation sentimentale dabei auf, sondern eine Einübung in die ‚Neuerziehung der Wünsche’. Gegen die Reduktion gebotener Komplexität, gegen ‚sentimentalisch-terroristisches Einsamkeitsfieber’ und die Zermürbung aller Beteiligten formuliert sie eine heutige Form der romantischen Idee des unendlichen Gesprächs und verfolgt die Wendung zum Glückenden: auf etwas, auf den und die Anderen zu.”
(Text: kookbooks)
Das Buch wurde vielfach lobend besprochen, hier eine kleine Auswahl:
„Dieses Buch, das nicht nur durch seinen ungewöhnlichen Titel, sondern auch seine liebevolle Aufmachung ins Auge sticht, handelt von unserer Sehnsucht nach Gemeinschaft. Es geht um den Schritt vom Ich zum Wir, und zwar auch jenseits der traditionellen Paarbeziehung: also um die inneren Gesetze von Cliquen und Freundeszirkeln. Monika Rinck schreibt so atemberaubend originell, dass man fast vergisst, hier einen Theorietext zu lesen. Ah, das Love-Ding! ist ein großer Essay, so angenehm wie ein schöner Abend in einer Lounge, ein anregendes Buch über das Abenteuer Denken.” – Denis Scheck, ARD
„Die Berliner Lyrikerin schreibt gelehrt, poetisch, ironisch und assoziativ von Liebe und Freundschaft, von der sozialen Natur des Menschen und von dessen Schwierigkeiten damit. Als Leser bleibt einem keine andere Wahl, als mitzuschwimmen im Strom der sprudelnden Gedankenentwicklungen, von Platon bis Musil über Alltägliches, Berliner Melancholie und weiter zu Foucault, man läßt sich treiben und spürt, im Zauber der Sprache gefangen, oft gar nicht, daß man gerade zum Nachdenken gebracht wird.” – Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
„Wollte man die frei flutenden Assoziationen des Buches auf eine knappe Summe reduzieren, könnte man es als eine Studie zu der Frage betrachten, wie Menschen in einer Zeit des Zweifelns an Ehe und Familie zu anderen, befriedigenden Formen des Gemeinschaft finden können. Doch damit würde man ihm seine besondere Poesie austreiben. Monika Rinck erprobt hier spielerisch einige mitunter recht verquere Thesen, wie sich Solisten zu Ensembles formen können, ohne deshalb einem dumpfen Kollektivgeist zu verfallen. Aber bevor sich ihre Überlegungen in allzu luftige Höhen verlieren, lässt sie regelmäßig die bissige Kunstfigur Veronika zu Worte kommen, die ein Konzentrat ist aus purer Nüchternheit, Skepsis und Ironie.” – Uwe Wittstock, Die Welt
Monika Rinck, Risiko und Idiotie. Streitschriften. 272 Seiten, Broschur mit Umschlag-Poster, gestaltet von Andreas Töpfer. kookbooks, Berlin 2015. 19,90 Euro (= Reihe Essay, Bd. 5)
Monika Rinck, Ah, das Love-Ding! Essay. 200 Seiten, 4 Transparentblätter mit Zeichnungen von Andreas Töpfer, Klappenbroschur. kookbooks, Berlin 2006.
18,90 Euro (= Reihe Essay, Bd. 2)
Link zum Verlag: kookbooks
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