Indie-AutorInnen schreiben für uns – Doris Brockmann (2)

Portrait-2008-lach-1Wer bei einem unabhängigen Buchverlag seine Bücher verlegt, die und den nennen wir jetzt einfach mal Indie-Autorin und Indie-Autor. Die beiden müssen das nicht immer bleiben, Literatur lässt sich nicht binden, aber es ist schön, wenn es so ist.
Im Hotlistblog kamen bisher nur die fertigen Bücher, oft die Großform Roman, solcher Autoren zu Wort. Jetzt lassen wir sie direkt für uns und alle schreiben. Wir freuen uns, dass Doris Brockmann, bekannt als Debütantin bei der Wiener Edition Krill, den zweiten Text der wundervollen Reihe von Primärtexten in der Ordnung kleine Prosa beisteuert.
Im Übungsraum gehört zu einer Sammlung von Texten, die motivisch als „Hausbau“ fortgesetzt werden. Es ist eine poetisch dichte Wir-Geschichte über die Allgegenwärtigkeit von Sinnsprüchen und ihre konkrete (Un-)Tauglichkeit für das Leben. Übung macht den Meister. /sw

Im Übungsraum

Wir stellten Tulpen in die Vase und warteten auf den Frühling. In der Zwischenzeit befassten wir uns mit Empfehlungen aus dem Zettelkasten, den uns Gutmeinende zum Geburtstag vor die Tür gestellt hatten. „Meinst Du wirklich, Du musst anders sein, als Du bist, um das zu bekommen, wonach Du Dich sehnst?“ – stand da zum Beispiel. Ja, das meinten wir wirklich. Ein Sinnspruch-Kärtchen würde daran nichts ändern. So, wie wir waren, kämen wir nie in die Endrunde. Der Sehnsucht tat das keinen Abbruch. Wir lasen Bücher über Selbstoptimierung und staunten. Sollte alles so leicht sein? Wir zwängten uns in Gummistrumpfhosen, malten Quadrate auf den Boden und hüpften mit schwerem Gepäck über die Felder. Es donnerte, der Übungsraum vibrierte. Wären die Uhren nicht verstellt worden, hätten wir die Zielgerade wahrscheinlich erreicht.
Anderntags arrangierten wir die Tulpen in der Vase neu, schoben hier, zupften da. Ein Stillleben wie im Buche. Dann zogen wir das nächste Kärtchen: „Hör auf, Dir Probleme vorzustellen.“ Es hätte nicht schlimmer kommen können. Nichts traf uns ärger, als missverstanden zu werden. Wir tigerten durch den Raum, stießen uns von der Wand ab, stolperten auf die nächste zu, gerieten ins Trudeln, verloren das Gleichgewicht, ruderten mit den Armen, steppten „I´m singing in the rain“, ohne des Steppens kundig zu sein. Wir schauten aus dem Fenster. Radrennfahrer strampelten die Serpentine hoch. So war das. So war das immer. Wir tranken das weiße Zuckerwasser und bestaunten im Spiegel die Molkefrische unseres Teints. Dennoch blieb alles unerreicht. Die Rachephantasien gegen jene, die uns der Einbildung ziehen, hämmerten wie kleine Fäuste gegen schallisolierte Wände.
Fliegen, überall saßen und surrten Fliegen. Wir hätten wissen sollen, dass es nun genug war. Aber wir konnten nicht aufhören und griffen zur nächsten Karte: „Glaube ich, dass es mir nicht zusteht, dass es mir gut geht?“ Seilchenspringen, wir suchten Zuflucht im Seilchenspringen, federten auf dem geölten Holzfußboden, zählten, nickten, federten. Hüpften, strengten uns an, schwitzten. Der Regen prasselte vor die Fenster, rann auf den Scheiben über unsere jämmerlichen Schultern, mit denen man keinen Staat machen konnte. Wir breiteten die Arme aus wie im Titanic-Film. Niemand stand hinter den jämmerlichen Schultern, uns zu behüten. Die Kirchturmuhr läutete. Auf Zeitgenossen war hingegen kein Verlass. Wir wussten, dass den Angehörigen kein Ungemach bereitet werden durfte. Also hielten wir uns bedeckt. Wir wollten niemanden verstören. Sie konnten ja nichts dafür. Verwandte kann man sich nicht aussuchen. Kein Grund, sie zu enttäuschen.
Es ging uns nicht gut. Die Tulpen verströmten den Geruch von Fäulnis. Der war selbst den Fliegen zu viel. Wir aber konnten nicht aufhören mit den Übungen, angespornt von dem Zweifel, uns könnte zustehen, dass es uns gut geht.

© Doris Brockmann, 2015

  • Doris Brockmann, geb. 1958 in Paderborn, lebt in Dorsten. Studium der Germanistik, kath. Theologie und Naturheilkunde, Promotion in feministischer Theologie. Betreibt in ihrem Blog auf www.walk-the-lines.de „Angewandte Schriftstellerei im Dienste der Alltagsbeobachtung“ und hat 2014 Die Erbseninseln. Zehn Passagen zur wohl kleinsten Inselgruppe Europas (Edition Krill) veröffentlicht.

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