Die Leipziger Buchmesse widmet(e) ihren diesjährigen Messeschwerpunkt dem deutsch-israelischen Dialog, siehe Übersicht. Eines der bemerkenswerten, in Leipzig vorgestellten, israelischen Bücher ist Löwen wecken von Ayelet Gundar-Goshen, das im Züricher Verlag Kein & Aber Verlag erschienen ist, wie übrigens auch Gundar-Goshens erstes Buch, Eine Nacht, Markowitz, beide in der Übersetzung von Ruth Achlama.
Löwen wecken ist ein Roman mit gesellschaftlicher Relevanz, ein politischer Roman. Man könnte auch sagen: Spannungsliteratur, mit Betonung auf Spannung – und mit Betonung auf Literatur. / mr
„Neurochirurg Etan Green befindet sich gerade auf dem Heimweg nach einer anstrengenden Schicht im Krankenhaus.
Es ist dunkel, als er mit zu höher Geschwindigkeit über die Wüstenstraße fährt und den Mann zu spät sieht, der mitten in der Nacht zu Fuß unterwegs ist. Etan steigt aus und erkennt sofort zwei Dinge: Bei dem Mann handelt es sich um einen illegalen Immigranten aus Afrika. Und der wird diesen Unfall nicht überleben. Aus Angst, seinen Job zu verlieren, begeht Etan Fahrerflucht.
Am nächsten Morgen steht eine schwarze Frau vor seiner Haustür, gibt sich als die Ehefrau des Opfers zu erkennen und macht Etan ein Angebot: Für ihr Schweigen solle er ab sofort Nacht für Nacht den übrigen Einwanderern medizinische Hilfe leisten.
Wie hätte man selbst in einer solchen Situation gehandelt? Diese Frage schwebt über dem Roman, der die Grenzen zwischen Liebe und Hass, Schuld und Vergebung und Gut und Böse meisterhaft auslotet.”
(Text: Lettrétage / Kein & Aber)

Leseprobe
„Und er dachte sich gerade, dies sei der schönste Mond, den er je gesehen habe, als er diesen Mann umfuhr. Und als er ihn umfuhr, dachte er im ersten Moment immer noch an den Mond, dachte weiter an den Mond und hörte dann mit einem Schlag auf, als hätte man eine Kerze ausgeblasen. Er hört die Tür des Jeeps aufgehen und weiß, er ist derjenige, der sie öffnet, er derjenige, der nun aussteigt. Aber dieses Wissen ist nur lose mit seinem Körper verbunden, wie das Wandern der Zunge übers Zahnfleisch kurz nach der Betäubungsspritze, alles da, aber anders. Seine Füße treten auf den groben Wüstensand, er hört ein Knirschen bei jedem Schritt, und dieser Laut beweist ihm, dass er tatsächlich geht. Und irgendwo am Ende des nächsten Schritts erwartet ihn der Mann, den er umgefahren hat, von hier kann man ihn nicht sehen, aber er ist dort, noch einen Schritt, und er ist da. Der Fuß ist schon in der Luft, verlangsamt jedoch, möchte ihn hinausschieben, den nächsten, den endgültigen Schritt, nach dem nichts anderes mehr übrig bleibt, als den am Straßenrand liegenden Mann anzusehen. Könnte man diesen Schritt nur einfrieren, aber natürlich kann man diesen Schritt nicht einfrieren, ebenso wenig wie man den Moment davor einfrieren kann, den genauen Moment, in dem ein Jeep einen Menschen umfuhr, das heißt, den genauen Moment, in dem der Mann, der den Jeep lenkte, den Mann, der zu Fuß ging, umfuhr. […].”
Ayelet Gundar-Goshen, geboren 1982, studierte Psychologie in Tel Aviv, später Film und Drehbuch in Jerusalem. Für ihre Kurzgeschichten, Drehbücher und Kurzfilme wurde sie bereits vielfach ausgezeichnet. Ihrem ersten Roman, Eine Nacht, Markowitz (2013), wurde der renommierte Sapir-Preis (vergleichbar dem britischen Man Booker Prize) für das beste Debüt Israels zugesprochen.
Ayelet Gundar-Goshen, Löwen wecken. Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. 432 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag. 18,5 x 11,6 cm. Kein & Aber, Zürich 2015. 22,90 Euro – Das E-Book ist zum Preis von 18,99 Euro erhältlich
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