Hagar Olsson Henry Parland

Olsson, Kanaan-ExpressDer Arco Verlag hat sich eine neue Website zugelegt, schön und übersichtlich gestaltet.

Noch nicht in die Rubrik der Neuerscheinungen eingepflegt, und auch nicht über das Personenregister zu finden, sind Hagar Olsson und ihr Roman Im Kanaan-Express (Herbstprogramm 2014, pdf), den ich neulich in einer Buchhandlung aufliegen sah: eine offenkundig hochinteressante Erstveröffentlichung, die sich dem letztjährigen Finnland-Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse verdankt, und natürlich dem Engagement des Verlegers, Christoph Haacker, und der Übersetzerin, Judith Meurer-Bongardt. Diese hat sich übrigens auch wissenschaftlich mit Hagar Olsson beschäftigt:
In ihrer Doktorarbeit Wo Atlantis am Horizont leuchtet oder eine Reise zum Mittelpunkt des Menschen untersuchte sie das utopische Denken in Olssons Schriften. Sehr gut gefiel mir auf Anhieb die (heute) seltene Schrifttype, in der
Im Kanaan-Express gesetzt ist. / mr

Hagar Olsson, Im Kanaan-Express

„Eine Zugfahrt voller Zwischenfälle wird zum Aufbruch. Im Schnellzug von Turku nach Helsinki bricht die Beziehungslosigkeit der Reisenden auf. In der zufälligen Begegnung zwischen einem Autor und einer jungen Frau entzünden sich Wünsche nach ungekannten Wagnissen. Die für ein paar Stunden geteilte Sehnsucht nach einem erfüllteren, ‚echten‘ Leben verwandelt den Turku-Express in den Kanaan-Express, auf rasanter Fahrt in ein vages Traumland der Verheißung, in dem sich exotische Bilder aus Weltmetropolen wie Paris oder Berlin entfalten.
Aber im Rausch von sexueller Freizügigkeit, Alkohol und Drogen drohen die idealistischen Lebensentwürfe zu scheitern. Immer verstörender und unwirklicher erweist sich der Kreis der Hauptpersonen als unglücklich miteinander verstrickt.
Es kommt zu einem spektakulären Todesfall, und der Angeklagte nutzt den Mordprozeß und Medienrummel zu bizarren Botschaften.
Hagar Olsson schildert in ihrem auch formal experimentellen Roman Im Kanaan-Express (1929) die Krisenhaftigkeit der europäischen Moderne.”
(Text: Arco Verlag)

Hagar Olsson (1893–1978) gehörte zu den zentralen Figuren der finnland-schwedischen wie der skandinavischen Moderne, stand mit ihrem Werk jedoch im Schatten prominenter männlicher Kollegen. Ab 1916 Verfasserin von sieben Romanen, darunter Chitambo (1933), von Erzählungen und Dramen, war sie mit ihren Essays Die neue Generation (1925) eine emanzipierte Bahnbrecherin des Modernismus und trat als Kritikerin vehement für die heute berühmte finnlandschwedische Dichterin Edith Södergran (1892–1923) ein.

Hagar Olsson, Im Kanaan-Express. Roman. Aus dem Finnlandschwedischen übersetzt und herausgegeben und mit einem Nachwort und Anmerkungen versehen von Judith Meurer-Bongardt. Deutsche Erstausgabe. 192 Seiten, gebunden, mit s/w-Fotos. 22 x 15 cm.
Arco Verlag, Wuppertal und Wien 2014. 22,00 Euro

Ein weiteres Buch der finnlandschwedischen Literatur, zum Weiterlesen:

Parland, Zerbrochen In der schönen, qualitätvollen Reihe der Winterbücher hat Katharina Wagenbach-Wolff, Verlegerin der Friedenauer Presse, 2007 einen – den einzigen – Roman des jungverstorbenen Henry Parland herausgegeben – Zerbrochen -, der einen merkwürdigen Untertitel hat: „(Über das Entwickeln von Veloxpapier)”.

„In der Literaturgeschichte gibt es immer wieder Entdeckungen zu machen, und dieser kurze Roman aus dem Jahre 1930 ist gewiß eine der überraschendsten.

Es gab in den zwanziger Jahren in der schwedischsprachigen Enklave Helsinkis eine Gruppe hochbegabter junger Lyriker und Erzähler, die nach neuen Formen und Ausdrucksmöglichkeiten suchten und sie in einem ganz eigenen Amalgam aus der lebensbejahenden Anarchie des Dada, dem übersteigerten Ausdruckswillen des Expressionismus, den Formspielen des Kubismus, der jungen Stummfilmkunst und den Rhythmen und Klängen des Jazz fanden.

Henry_Parland

Einer von ihnen war Henry Parland: 1908 im finnischen Viborg geboren, starb er 1930 im litauischen Kaunas an Scharlach. Er wuchs mehrsprachig auf, mit Deutsch, Englisch, Russisch und ab dem vierzehnten Lebensjahr Schwedisch. In dieser zuletzt erlernten Sprache hinterließ er ein frühvollendetes Werk, Gedichte, Erzählungen, Essays und den hier zum ersten Mal auf deutsch erscheinenden Roman Zerbrochen (Sönder – so der schwedische Titel), der erst 2005 von Per Stam in einer authentischen Fassung herausgegeben wurde.

Zerbrochen ist eine Liebesgeschichte, die von Geld, Macht und von der Photographie erzählt: Amy ist schön, launisch und sorglos. Sie liebt Jazz und nächtliche Bummel durch die Lokale Helsinkis. Sie spielt und verspielt gern ihr Geld und das anderer. Und sie liebt Henry. Aber Amy ist tot. Mit Photos, die er von ihr gemacht hat, versucht Henry Stück für Stück seine Erinnerungen an sie und ihre Liebesgeschichte wieder zum Leben zu erwecken. Eine scheinbar leichte, kurzlebige Geschichte, mit kleinen Eifersüchteleien und Frivolitäten, in der keiner von beiden den anderen wirklich kennt. Und eine Geschichte vom Erinnern und vom Erzählen selbst: verblüfft entdeckt man, daß Henry Parland einen Anti-Roman geschrieben hat – zwanzig Jahre bevor diese Romanform in Frankreich entwickelt wurde.
(Text: Friedenauer Presse)

Kleine Bemerkung am Rande: Renate Bleibtreu, der wir diesen Parland-Band zu danken haben, ist die Schwester von Monica Bleibtreu (und Tante von Moritz Bleibtreu). Sie arbeitet nicht nur als Übersetzerin, sondern auch als Schauspielerin und Schauspielpädagogin. Übersetzen und Schauspielen – diese Kombination leuchtet ein.

Henry Parland, Zerbrochen (Über das Entwickeln von Veloxpapier). Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt und herausgegeben von Renate Bleibtreu. 160 Seiten, gebunden mit Banderole. 21 x 13 cm. Friedenauer Presse, Berlin 2007. 18,50 Euro

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