Lea Schneider, Invasion Rückwärts

Schneider, Invasion rückwärtsBeim G13-Rundblick (s. hier und hier) darf das dritte diesjährige Debüt aus den Reihen des Kollektivs nicht fehlen,
Invasion Rückwärts von Lea Schneider, im Verlagshaus J. Frank erschienen.

Vorab:
Lea Schneider wurde mit dem Dresdner Lyrikpreis 2014 ausgezeichnet – Gratulation!

(Auf der Website des Preises heißt es:
„Die Jury fasste die Überzeugungskraft der jüngsten Autorin unter den Finalisten in drei Begriffen zusammen: ‚Narrationsgenauigkeit, vershandwerkliche Raffinesse und Imaginations-Irritierungen’.”)

Im nachfolgend zitierten Verlagstext – Beispiel für ein schönes, sorgfältiges, das Buch unübersehbar mögendes Beschreiben – wird angedeutet, was sich dahinter verbirgt, also was „Imaginations-Irritierungen” vielleicht sein könnten.

Lea Schneider, Invasion Rückwärts

„Als wären die Ausstellungsstücke in einem Kuriositätenkabinett plötzlich lebendig geworden: In Lea Schneiders Debüt Invasion Rückwärts versammeln sich Druiden in Trainingsanzügen, ein liegengebliebener Schluckauf und ein reverser Flokati.
Uns begegnen Pfau-Effekte und Unkontrollierbares: Gegenstände lösen sich auf, pausenlos finden Verschiebungen statt, die einer surrealen Traumlogik zu folgen scheinen. Der Himmel wird ein blauer Fleck in der Kniekehle, Inseln zu Fußnoten vom Festland, Habenwollen zur Lebensform.

Signet des Verlagshauses J. Frank
Signet des Verlagshauses J. Frank

Dazwischen bewegen sich Personen und blättern durch die Körper eines vorläufigen Wir. Auf der Suche nach Möglichkeiten, miteinander und mit den rebellischen Objekten umzugehen, entdecken sie einen universell anwendbaren Herbst, einen notwendigen Akt von Schönheit und einen Ort, wo Kühe hingehen, wenn sie abgelaufen sind. Immer wieder stellt sich die Frage, wer hier eigentlich handelt: Die Subjekte? Die Objekte?
Und gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen Zufall und eigener Entscheidung, wenn Realität offenbar nur eine Folge guten Timings ist?

Die Prosagedichte in diesem Band breiten sich von innen aus. Es gibt einen Anfang, ein Ende, aber beide scheinen nur Staffage von etwas zu sein, das immer schon da ist, bevor man es liest. Und was da im Zentrum liegt, worauf sich die Texte zubewegen, ist bereits verschwunden, wenn es greifbar wird. Die Gegenstände, um die es hier geht, scheinen selbst nur Taktgeber ihrer eigenen Transformationen zu sein. Bilder, Stimmungen, Theorien und Gegenstände verdichten sich zu hochkomplexen Gebilden, die funktionieren wie Lösungsvorschläge für einen Rubik’s Cube und sich dabei so klug und witzig lesen, dass man den Würfel am liebsten immer weiterdrehen will.”
(Text: Verlagshaus J. Frank)

an der endhaltestelle war der tag geräumt: jemand
hatte einen geruch aus den ginsterbüschen gerissen
und seine ungeduld damit gefüttert. wir flanierten
durch hilflose industrieparks, vollgestellt mit schafen,
in halbstündigen abständen radfahrer. bruchsekunden,
sand in den schuhen und dieser wunsch, die vögel
mit tesa am tageslicht zu fixieren; eine unsicherheit
aufzuhalten, ohne sie auszusprechen. in diesem
abgezogenen gebiet suchten wir weiter nach auto-
wracks, erntehaufen, irgendwas, an dessen wund-
gescheuerter innenseite man einschlafen könnte.

Eine ausführlichere Leseprobe gibt es hier.

Vielleicht ist es, nach erster oberflächlicher Lektüre, vorschnell geurteilt:
Mir scheint, dass Invasion Rückwärts – trotz der zahlreichen, gleichsam auf dem Silbertablett servierten Dinge des Lebens / Referenzen auf eine äußere Lebenswirklichkeit – eigentlich ein Beispiel absoluter Dichtung ist, einer Dichtung also, in der es nicht um Sachen geht, sondern um Wörter, in der nicht das Leben gespiegelt wird, sondern die Sprache, und es gibt nur diesen Wort- und Satzspiegel, kein wirkliches Außerhalb.

Dieser Kontrast von konkretem Phänotyp und abstraktem Genotyp
ist nicht nur ein Ausweis der Moderne (die die Dichotomie von Großer Abstraktion und Großer Konkretion schon immer umtreibt), er ist vor allem auch reizvoll.
Es hat seinen Witz, Gedichte zu lesen, die so zugänglich wirken und so undurchdringlich sind … wie ja überhaupt der Genuss des Gedichtelesens stets unterschätzt oder unterschlagen wird – ein Fehler! … Aber um Analyse geht es auch nicht, sondern um ein bewegliches Enträtseln und um ein Begreifen, für das es mehr braucht als die Krücken des Verstandes.
Lesen vor allem ist wichtig, Lesen und Wiederlesen.

Könnte es sein, dass Schneider sich einer Bilderfülle bedient, um die Leere zu zeichnen? Dann aber wäre es konsequent gewesen, die Gedichte ohne Illustrationen zu drucken, ganz puristisch: nur Text. Und das wäre mein einziger Einwand. / mr

Lea Schneider, geboren 1989 in Köln, ist Mitglied des Berliner Lyrikkollektivs G13. Sie übersetzt zeitgenössische Lyrik aus dem Chinesischen und veröffentlicht in Zeitschriften und Anthologien, u. a. in Jahrbuch der Lyrik, BELLA triste, Poetry East West und im Magazin der Kulturstiftung des Bundes. Sie hat Soziologie, Komparatistik, Sinologie und Linguistik in Berlin, Shanghai, Taipei und Frankfurt/Oder studiert, ist bei Literaturfestivals in Deutschland und China aufgetreten und war Finalistin beim poet Ι bewegt-Wett­bewerb für junge Literatur 2011 und beim 21. open mike 2013.

Lea Schneider, Invasion Rückwärts. Gedichte. Illustrationen von Andreas Chwatal. 88 Seiten, Broschur. 19 x 12,5 cm. Verlagshaus J. Frank, Berlin 2014. 13,80 Euro
(= Quartheft 55 / Edition Belletristik)

Kommentare sind geschlossen.