Neue Bücher von avant-verlag, Lilienfeld, diaphanes

Bis Weihnachten nun wieder in dichterer Folge Hinweise auf tolle Bücher aus unabhängigen Verlagen. – Heute drei Titel von avant, Lilienfeld und diaphanes, die – sowohl die Bücher im speziellen als auch die Verlage im allgemeinen – den Sortimentsbuchhandel bereichern und schmücken und Lust zu lesen machen. / mr

Blitzkrieg_Cover_webPetteri Tikkanen Blitzkrieg der Liebe

Blitzkrieg der Liebe erzählt die Geschichte von Eero und seiner Freundin Kanerva, die in der finnischen Provinz aufwachsen, chronologisch vom ersten Kennenlernen als Kinder bis zum Erwachsenwerden.

Während Kanerva sich zu einer jungen Frau entwickelt, lebt Eero weiterhin in seiner Welt kindlicher Vorstellungen. Von seinen Freunden mehr und mehr ignoriert und zurückgelassen, geht Eeros sorgenfreies Leben zu Ende und er findet sich in einer Situation wieder, aus der es kein Zurück gibt …
Der Wechsel von der Kindheit zur Pubertät wird in dieser Graphic Novel auf eine universelle Art und aus einer menschlichen Perspektive geschildert.

Blitzkrieg der Liebe ist eine Sammlung von vier miteinander verknüpften Geschichten des bekannten finnischen Comic-Künstlers Petteri Tikkanen.

Für die ersten Episoden dieses Buches wurde der Autor mehrfach mit dem Finlandia Comics Prize ausgezeichnet!”
(Text: avant-verlag)

Hier eine Leseprobe (ISSUU).

Unter dem Titel „Superheld in eigener Sache” hat Deutschlandradio Kultur ein Porträt des Comic-Zeichners von Marten Hahn archiviert, das schon gut anfängt:

„Petteri Tikkanen ist ein aufmerksamer Interviewpartner. Ob er auch die Batterien aus der Wanduhr nehmen soll, fragt er, nachdem er alle anderen Geräuschquellen in seiner Wohnung eliminiert hat.”

Petteri Tikkanen, Blitzkrieg der Liebe. Graphic Novel. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokat. 264 Seiten, Vierfarbdruck, Leinen. avant-verlag. Berlin 2014. 19,95 Euro

Bauer, Die StimmeWalter Bauer Die Stimme

Ein Neuanfang in Kanada mit dem Krieg im Gepäck. Die Liebe zu einer Frau, deren Stimme zum Schlüssel für eine fremde Kultur wird. Liebesgeschichte, Migrationserzählung und politisches Testament: Walter Bauers autobiographische Novelle gehört zum Einnehmendsten, das zu diesem Thema in der deutschen Literatur zu finden ist.

Ein typisches Einwandererschicksal, wie es immer noch Millionen Menschen kennenlernen müssen: geflohen aus einem zerstörten Zuhause, verfolgt von Erinnerungen an eigenes Leid und eigene Schuld, angekommen in einer anderen Zivilisation, in der alles Vorherige – Herkunft, Bildung, Lebensweg – nichts mehr gilt und wo ein gesichts- und sprachloser Neuanfang von ganz unten beginnen muss.
Aber es gibt auch die Möglichkeit, neues Glück zu finden: das Abwerfen alter Lasten, die neue Sprache und Kultur, vielleicht sogar die Liebe.

Walter Bauers fein und ergreifend geschriebenes Buch Die Stimme von 1961 erzählt von so einem Schicksal in Kanada und von der Liebe zu einer Frau in einer neuen Welt. Es ist seine autobiographische Liebeserklärung und außerdem eine Zusammenfassung seiner Sicht auf den Zweiten Weltkrieg. Eine fast siebzig Jahre nach Ende des Krieges unbedingt wieder zu entdeckende Kostbarkeit.”
(Text: Lilienfeld Verlag)

Davon kann man sich z. B. anhand einer Leseprobe überzeugen, die der Verlag zur Verfügung stellt, ein Auszug aus dem zweiten Kapitel (pdf).

Iris Radisch hebt in ihrer Kurzkritik (s. DIE ZEIT, Nr. 45/2014, 30. Oktober 2014) „das Marsgefühl einer entsetzlichen Fremdheit” hervor, das Bauer in Die Stimme beschwöre.
Manuela Reichert zeigt sich beeindruckt, wie Bauer „Empfindungen und Beobachtungen, das stumme Staunen, die miesen kleinen Zimmer, die trostlosen Ausflüge am Wochenende, die verschiedenen Hilfsarbeiten, die der Mann annimmt, um zu überleben, die Kontaktlosigkeit, vor allem aber das Fehlen der Worte, um sich auszudrücken” beschreibt (hier die vollständige Kritik, Deutschlandradio Kultur, 23. Oktober 2014).

Walter Bauer, 1904 in Merseburg in armen Verhältnissen geboren, machte zunächst eine Lehrerausbildung, wanderte 1925 vagabundierend durch Deutschland, Österreich, Italien und die Schweiz und arbeitete dann u. a. als Redakteur und Lehrer. Sein zweites Buch Stimme aus dem Leunawerk (1930),
ein lyrischer Einblick in das Leben und Denken der Werksarbeiter, machte ihn schlagartig bekannt und wurde von Kurt Tucholsky, Stefan Zweig und Franz Werfel sehr gelobt.
Nach 1933 unterlag er Publikationsbeschränkungen, schrieb aber weiter.
1940 Einberufung zum Kriegsdienst, 1946 Rückkehr aus der Gefangenschaft und 1952 Auswanderung nach Kanada und Neuanfang u. a. als Fabrikarbeiter, Packer und Tellerwäscher. Nach einem späten Studium wurde Walter Bauer schließlich Universitätsprofessor in Toronto, wo er 1976 starb.

Walter Bauer, Die Stimme. Geschichte einer Liebe. Mit einem Nachwort von Jürgen Jankofsky. Einbandgestaltung unter Verwendung eines Gemäldes von Nina Fandler. 128 Seiten, Fadenheftung, Halbleinen, Leseband. 18 x 10,5 cm. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2014. 18,90 Euro
(= Lilienfeldiana, Bd. 20)

Perec, DenkenGeorges Perec Denken/Ordnen

„Zwei große Gefahren bedrohen unaufhörlich die Welt: die Ordnung und die Unordnung” hat Paul Valéry gesagt. – Georges Perec kümmert sich in Denken/Ordnen um die erste dieser Gefahren. Dies geschieht vor dem (autobiographischen) Hintergrund von Chaos und Traumatisierung.

„In jeder Aufzählung finden wir zwei widersprüchliche Versuchungen; die erste besteht darin, ALLES zu erfassen, die zweite darin, wenigstens einiges zu vergessen.”
(Georges Perec)

„In Denken/Ordnen, seinem letzten Buch, forscht Georges Perec den kleinen Privat-Bürokratien nach, die jeder Einzelne entwickelt, um die Dinge der Welt zu versammeln, zu zerlegen und zum Verschwinden zu bringen: Anleitungen, Übungen, Listen, Methoden; seitenweise Kochrezepte (aber nur für Seezunge, Kalbsbries und Kaninchen!), verschiedene Arten, ein Bücherregal zu ordnen; Überlegungen über die Unmöglichkeit des Aufräumens und über die verschiedenen Arten körperlichen Aufenthalts beim Lesen (auf der Toilette, auf Reisen, beim Essen, im Bett …) – und nicht zuletzt einige Seiten wunderbare Betrachtungen über Brillen, die für jeden, der selbst davon betroffen ist, fortan unerlässlich sein werden. Und das alles ist, wie stets bei Perec, nicht nur ungeheuer anregend, sondern zutiefst komisch und traurig zugleich.”
(Text: diaphanes)

Georges Perec (1936-1982)
Georges Perec (1936-1982)

„Lesen heißt ja nicht nur, einen Text zu lesen, Zeichen zu entziffern, die Zeilen zu vermessen, die Seiten zu erforschen, einen Sinn zu durchschreiten; es ist nicht nur die abstrakte Kommunion zwischen Autor und Leser, die mystische Hochzeit der Idee mit dem Ohr, es ist gleichzeitig auch das Geräusch der Metro oder das Schaukeln eines Eisenbahnwagens oder die Hitze der Sonne an einem Strand und die Schreie der Kinder, die etwas abseits spielen oder die Empfindung des warmen Wassers in der Badewanne oder das Warten auf den Schlaf …”

Eine – ausführlichere – Leseprobe hier.

Georges Perec, Denken/Ordnen. Aus dem Französischen von Eugen Helmlé.
176 Seiten, Broschur. diaphanes, Zürich 2014. 12,95 Euro