Jochen Beyse, Leonardo Sciascia

In Ergänzung zu den letzthin vorgestellten Büchern von und zu Raymond Roussel der Hinweis auf zwei weitere – leider ist eines (das von Sciascia) vergriffen und nur im Original zu bekommen. Sicher gibt es einmal eine Neuausgabe in einem anderen Verlag.
Vielleicht (anderes Thema) erbarmt sich auch mal jemand des absolut lesenswerten – lebendigen, von Kenntnis und Liebe zum Autor und seinem Romanpersonal getragenen – Buchs von Giuseppe Tomasi di Lampedusa über Stendhal, das es vor langer Zeit bei Piper gab. / mr

Roussel_Beyse_diaphanes„Wünschen ist eine zu dumme Beschäftigung. Man sollte dafür das Verlangen großschreiben, völlig klar. Und man sollte vor das Verlangen noch ein unverschämt setzen.” – Jochen Beyse, Palermo 1933

 

 

 

 

 

 

 

 

Jochen Beyse, Palermo 1933

„1933 wird der Schriftsteller Raymond Roussel in einem Luxushotel in Palermo tot aufgefunden – ‚und neunzehnhundertdreiunddreißig ist ein Jahr, das man in jedem Fall zur Kenntnis nehmen muss.’
Neben dem Toten sitzt ein namenloser ‚Blutsauger’. Sein Monolog eröffnet und skandiert Jochen Beyses neuen Prosatext, eine dichte Erzählung über die phänomenalen Selbstbegegnungen im Lesen und im Schreiben.

In den Vordergrund rückt immer mehr die Nachtexistenz eines heutigen Schriftstellers, der seine ganz private Dunkelzone durchstreift und nach Wegen sucht, endlich einmal Verbündeter des Lebens zu sein. Im Wechsel zwischen der fiktiven Rückblende, dem Gang durchs eigene Leben und der Vergegenwärtigung zentraler Lektüreerlebnisse entsteht die Topographie eines literarischen Exerzierfeldes. Eine messerscharfe und anspielungsreiche Prosa von eigentümlicher Anziehungskraft.
(Text: diaphanes)

Eine Leseprobe.

„Auch mit dieser filigranen, schwebend leichten Prosa bestätigt Jochen Beyse, der sich in seinem Werk seit dreieinhalb Jahrzehnten immer wieder mit Einzelgängern und Außenseitern befasst hat, seinen Rang als ebenso inspirierter wie skrupulöser Erzähler, der sich vom Diktat des Markts nicht korrumpieren lässt.”
Bruno Steiger, NZZ am Sonntag

„So atmosphärisch dicht Beyse das Palermo des Jahres 1933 und seines Grand Hotel delle Palme, in dem Roussel seine letzten Tage verbringt, erstehen lässt, so deutlich ist diese Erzählung auch eine Erzählung von Lektüren.”
Joachim Büthe, Deutschlandfunk (Die Kritik zum Nachlesen: hier.)

Leonardo Sciascia, Atti relativi alla morte di Raymond Roussel

Leonardo Sciascia (c) effigie
Leonardo Sciascia (c) effigie

Leonardo Sciascia (1921-1989) hat neben seinen Kriminalromanen – Der Tag der Eule, Jedem das Seine, Der Zusammenhang u. a.: Fiktionen, die maßgeblich dazu beitrugen, das reale Phänomen der Mafia ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken – auch das ihm eigene Genre der investigativen Erzählung („racconto-inchiesta”) gepflegt.

Er schrieb über Aldo Moro (1978), den von den Roten Brigaden (so heißt es) entführten Politiker der Christdemokraten, der sich, zum Missvergnügen Präsident Nixons, dazu angeschickt hatte, eine Koalition mit der KP zu schließen – was sein Ableben vereitelte -, und den die italienische Polizei möglicherweise nicht ernsthaft finden wollte (es sei denn tot, was ihr, nach einem Hinweis der Entführer, glücklich gelang), über den Physiker Ettore Majorana (1975) – Das Verschwinden des Ettore Majorana – oder eben über Raymond Roussel (1971), der aufgrund seines Todesortes Palermo gewissermaßen in den thematischen Zuständigkeitsbereich des Sizilianers Sciascia gehörte.

Der Tod des Raymond Roussel - Französische Ausgabe
Der Tod des Raymond Roussel – Französische Ausgabe

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„Questo racconto-inchiesta è stato pubblicato nel 1971, ha avuto dalla critica – non soltanto italiana – un vasto ed entusiastico consenso, è stato ristampato nel 1977: ma resta, tra i libri di Sciascia, il meno conosciuto.
Tradotto subito in francese, ha appagato i rousselatres svelando (e al tempo stesso accrescendo) il mistero di quella morte a Palermo, nel vecchio e famoso albergo delle Palme; ma sarebbe del tutto ingiusto lasciare un simile racconto nella sfera del culto tributato a Raymond Roussel. Si tratta proprio di un racconto, e tra i più interessanti che Sciascia abbia scritto.”
(Text: Sellerio editore)

„Diese investigative Erzählung erschien 1971 und fand bei der Kritik – nicht nur in Italien – große und begeisterte Zustimmung. 1977 wurde sie neu aufgelegt, aber sie bleibt das am wenigsten bekannte von Sciascias Werken.
In seiner französischen Übersetzung (1972) befriedigte das Buch die ‚rousselâtres’ [soviel wie: Roussel-Anhänger, ‚Roussaniacs‘], weil es das Geheimnis von Roussels Tod im berühmten alten Grand Hôtel et Des Palmes in Palermo lüftete (und zugleich vergrößerte). Aber es wäre ganz falsch, die Erzählung im Umkreis des Raymond Roussel-Kults zu belassen, denn es ist wirklich eine Erzählung – eine der interessantesten, die Sciascia geschrieben hat.”
(Text: Sellerio editore)

Biblographische Angaben

Jochen Beyse, Palermo 1933. Erzählung. 160 Seiten, broschiert. diaphanes, Zürich 2012. 14,95 Euro. – Als E-Book zum Preis von 12,99 Euro erhältlich.

Leonardo Sciascia, Der Tod des Raymond Roussel. Aus dem Französischen von Leopold Federmair. 76 Seiten, broschiert. Tartin Editionen, Salzburg 2002. 12,00 Euro (vergriffen)

Leonardo Sciascia, Atti relativi alla morte di Raymond Roussel. 64 Seiten, broschiert. Sellerio editore, Palermo 2009. 8,00 Euro [in Italien]