MaroVerlag

30 Kandidaten stehen in diesem Jahr wieder bei der Jury und einer Internetabstimmung zur Wahl und können auf die Hotlist 2023 gelangen. In Kooperation mit Literaturblogs, die zum Glück ein großes Herz für unabhängige Verlage haben, stellt unser Magazin alle Kandidatenbücher vor.

Diesmal @sandra.falke.libri über:

Das Bild zeigt das Cover von Leere Menge.

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Verónica Gerber Bicecci: Leere Menge

„Dass die Vergangenheit offenbar nicht verschwindet,
sondern irgendwo herumschwebt
und sich immer wieder neu konfiguriert.“ (161)

Die wahre Komplexität und Ambition von „Leere Menge“ von Verónica Gerber Bicecci können Lesende erst im Nachwort dieses faszinierenden Romans entdecken – denn in diesem erklärt die mexikanische Autorin, mit welchen Methoden sie ihren vierdimensionalen Text konzipiert und realisiert hat.

Die Geschichte ist bereits auf rein textueller Ebene ergreifend und komplex: Die Protagonistin trauert um eine verlorene Liebe, verliebt sich erneut, reist mit ihrem Bruder nach Argentinien, rätselt um die verschollene Mutter – und versucht die sich in ihr breit machende leere Menge zu identifizieren, zu akzeptieren, zu therapieren.

Dass Bicecci selbst sprachlich ambitioniert vorgeht und dass ihre Protagonistin gerne Zeit und Raum und Individuen dekonstruiert, wird bereits in den Darstellungen der Figuren als Einheitenzeichen und ihrer Beziehungen als Grafiken, die zunächst sehr einfach gezeichnet sind, doch nach und nach den euklidischen Anschauungsraum verlassen und vierdimensional werden.

Dekonstruktion von Raum und Zeit anhand von Sternenbeobachtung, Recherchen zu den Jahresringen von Bäumen – und Dekonstruktion der Sprache am Beispiel von Liebesbriefen mit individualisierter Morphologie sind nur einige der Methoden, die Bicecci für ihren Roman mobilisiert. Dass ihr anhand grafischer Darstellung vieles gelingt, welches der Text nicht ausdrücken kann, wird für analytische und wissenschaftlich geneigte Köpfe eine Faszination ohnegleichen sein. Dass die Geschichte selbst an der unglaublich komplexen Ausarbeitung nicht leidet, zeugt von schriftstellerischem Können par excellence.

Vieles wird hier der Interpretation überlassen, vieles ist ohne Ergänzung nicht sichtbar. Ob allerdings das Nachwort als Vorwort zu setzen das Abenteuer der selbstständigen Abstraktion zu sehr eingeschränkt hätte, muss jeder Lesende für sich entscheiden.

Vielen Dank, @sandra.falke.libri!

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